: „Ich bin kein Oberkellner der Sinnsuche“
■ Bazon Brock, Ästhetikprofessor, Kunsttheoretiker, war in Bremen: Was ist Provinzialismus? / Eine Art Interview
Bazon Brock ist einer, der nicht stutzt, sondern ein für allemal antwortet. Logisch: ein Ästhetikprofessor, was soll man da erwarten. Brock, der berühmt-berüchtigte Multiwortklauber (momentan Uni-Wuppertal), der seit 1957 Lyrik, Hörspiele, Filme, Theaterstücke, action teachings, Ausstellungen hervorbringt und die Kunstszene durch seine Besucherschulen zur Kasseler documenta gestört hat, weil er Kunst für vermittelbar hält, war am Wochenende in Bremen zur Vorführung eines Videofilms (s. taz vom 24.5.).
Im Cafe Grün fällt der beherrschende Herr mit silbergewordenem Adonisflair und hellem Trench aus dem dunklen Rahmen. Zur Sache: ob ich sein neues Buch kenne, „Die Re-Dekade“. Aha: nicht. Nur ein altes? Soso! Wozu also reden? Kann ich doch alles nachlesen, nicht!? Schließlich ist Brock'sches Verstehen eh nur produktives Mißverstehen und niemals identische Übertragung. Das Interview als Abenteuer. Also dann.
taz: Sie heißen gar nicht Bazon!
Bazon Brock: Das kommt aus dem Altgriechischen und heißt begnadet stammeln und dummes Zeug reden, also schwatzen. Dieser Name wird seit 1806 an der Kieler Uni immer von einem Lehrer auf den nächsten Schüler übertragen und ich hab ihn von Max Thiessen. Das ist ein Schmäh- und Spottname, wie ihn die mittelalterlichen Mönche trugen. Solche Namen trugen oft Epileptiker, die Sprachanfälle hatten und bei denen man nicht wußte, ob sie Offenbarungswissen von sich gaben oder dummes Zeug.
Wissen Sie was von Bremen?
Früher gab's ja hier Zadek zu besichtigen. Gegenwärtig weiß ich von Bremen nur, daß man sich bemüht, ein Museum auf die Beine zu stellen, indem man die Privatsammlungen verschiedener Leute zusammenzieht, und so ein Unternehmen finde ich einigermaßen absurd. Würde die Öffentliche Hand die Sammlungen selber zusammenbringen, wäre das Ganze ja wesentlich.
Wenn einer wie Sie in die Provinz kommt — führt er da Aufklärung im Schilde?
„Heilig ist der Provinzialismus...“
Also Provinz ist für mich überall, ob in New York oder in Köln oder in Bremen oder auf dem Dorf; und umgekehrt kann das Gegenteil, Urbanität, überall herrschen. Provinz unterscheidet sich von einer urbanen Zivilisation nur dadurch, daß man in der Provinz nichts will. Daß die Leute keine Prospekte haben, keine Ideen, keine Forderungen aufstellen, daß sie selbstgenügsam vor sich hin wurschteln und sich eigentlich mit nichts beschäftigen.
Sie schreiben: „Heilig ist der Provinzialismus, die selbstgenügsame Beschränkung auf das Nächstliegende“. Was ist das?
Das Nächstliegende ist das, was jedermann weiß. Es ist ja so, daß der Durchschnittsbürger über die Notwendigkeiten des Nächstliegenden seit 10 Jahren mehr weiß als die Politiker und die Spezialisten. Beispiele Ökologiedebatte, Verkehrsproblem.
Was ist mit dem Künstler und dem Provinzialismus?
Es gibt einen typischen Provinzialismus der Künstler, die sagen: die Kunstwerke sprechen für sich. Und dann stehen die Leute davor und alles, was sie rauskrie
„Ich nehme mich zum Beispiel dafür, welche Schwierigkeiten man mit bestimmten Dingen hat“: Bazon BrockFoto: Jörg Oberheide
gen, ist: das gefällt mir, oder das gefällt mir nicht. Und die tiefe Bedeutung ist ja der größte Schwachsinn.
Was tut da der Vermittler Bazon Brock?
Ich bin kein Oberkellner der Sinnsuche. Vermitteln heißt doch nichts anderes, als Dinge, die andere Leute für völlig problemlos und selbstverständlich halten, zu einem Problem zu machen und zu zeigen, was darin steckt. Ein guter Kellner wird also nicht sagen: essen Sie dies, das ist großartig, sondern klarmachen, was an einer Speise Bedeutsames dran ist, was gegen herkömmliche Macharten der Küche verstößt. Das kann man nur herausfinden, wenn man weiß, inwiefern es sich um etwas Besonderes handelt. Zum Beispiel sehen Leute in einer Galerie auf einer Leinwand nichts anderes als ein Weiß, von dem sie vermuten, daß es dasselbe Weiß ist, was auf der Galeriewand ist. Da sagen sie dann: das soll Kunst sein? Weil sie eben nicht erkennen, was für ein Problem in der monochromen Malerei steckt.
Warum will niemand ein von Ihnen so genannter Mainzelmännchendeutscher sein, sondern lieber groß?
Der Witz war doch der, daß die Tätertypen der 80er Jahre sich furchtbar gelangweilt haben in der Normalität: Die Dichter haben rumgeschwafelt, die Künstler sahen keine politischen, keine wirtschaftlichen Probleme, kein Nord-Süd-, kein Ost-Westproblem. Resultat: Botho Strauß, Herr Syberberg etc. sagten: wie
hierhin bitte den
Mannkopf mit Brille
großartig die faschistischen Zeiten, als man noch wirklich mit einem Anspruch rechnen konnte! In der Normalität des Mainzelmännchendaseins würden diese Leute verkümmern, denn sie haben keine Fantasie. Der normale Mensch hat ja genügend Fantasie, um sich, wenn er wirklich will, noch in der banalsten Alltäglichkeit n' Abenteuer zu verschaffen. Die normalen Bürger haben doch den großen Flattermann, weil die sehen, was da in den nächsten 10 bis 15 Jahren auf die Menschen zukommt. Und das wollen die Künstler nicht sehen, die sehnen sich nach einem Spektakel. Nehmen Sie den Golfkrieg: was hat der Durchschnittsintellektuelle gemacht? Schreit hurra! Herr Biermann, die langweilige Linke, die sagen: Donnerwetter, jetzt gehts' aber in der Welt wieder zur Sache. Das Leben besteht wieder aus großen Taten, es muß krachen, stinken, damit der Teufel auch im Spiel ist: kucken Sie sich doch die Bühnen an, was die an Spektakeln zusammenbringen, einen Gedanken fassen sie nicht mehr, also müssen die Glieder ausgerenkt und zerfetzt werden. Das Kreissägenmassaker ist doch seit 20 Jahren die Normalambition auf den Bühnen. Das sind doch Tätertypen. Anstatt zu sehen, daß das höchste Ziel des Zusammenlebens sein kann, nach Möglichkeit die hundsnormale Alltäglichkeit zu garantieren.
Mal zu Bremen: Kunstfeindlichkeit ist bekanntermaßen ein Indikator für Gesellschaftszustände. Was ist das für eine Stadt, die
kaum Geld übrig hat für Kunst?
Ich weiß nicht, ob das ein besonderes Problem Bremens ist, aber nehmen wir mal Köln und die Sammlung Ludwig. Die hatte, als sie gestiftet wurde, einen Wert von rund 25 Mio. Mark. Der Bau, den die Stadt gestellt hat, kostete ein Zigfaches. Die Nachfolgekosten für den Bau stellt also die Allgemeinheit: das ist ja grotesk, 120 Millionen für ein Geschenk von 25 Millionen auf die Beine zu bringen. Da kann die Allgemeinheit auch die Sammlung selbst aufbauen und muß sich nicht abhängig machen von einem Stifter, der da so'n kleines Präsent gibt und zur Kulturgröße in einer Dimension gemacht wird, die selbst Hitler nicht erreicht hat. Selbst Hitler hat es nicht gewagt, vier Museen seinen Namen zu geben, wie das bei Herrn Ludwig der Fall ist. Was Bremen betrifft: Ich kenne mich nun nicht in der lokalen Entscheiderproblematik aus. Aber generell ist zu einem geringen Kulturetat zu sagen, daß da immer noch die alte eingefleischte Kulturfeindlichkeit der Sozialdemokraten am Werk ist, die es ja immer gegeben hat. Wohingegen die Arbeiter ja überhaupt nicht bildungsfeindlich waren. Die Arbeit der Arbeiterbildungsvereine haben Kunsthistoriker gemacht, das Volkshochschulprinzip ist ja von Hochschulleuten lanciert und in hohem Maße angenommen worden. In Bebels Zeiten war „Wissen ist Macht“ noch ein Auftrag. Aber die Sozialdemokratie hatte da immer Berührungsängste, weil sie
sich krampfhaft gegen die bürgerliche Kultur absetzen wollte. Es gibt aber keine bürgerliche oder groß-oder kleinbürgerliche Kultur. Es gibt nur eine Kultur, die besteht aus einem Beziehungsgeflecht zwischen Menschen, das auf Verbindlichkeit ausgerichtet ist. Diesen Aspekt von Kultur hat die Sozialdemokratie überhaupt nie verstanden. Generell kann man sagen: Die Entscheider sehen so aus, wie sie entscheiden. Sie selbst lesen nie ein Buch, gehen nie ins Theater, in Ausstellungen, lassen das ihre Frauen machen. Da muß man sich doch nicht wundern, daß solche Leute, wenn sie Politiker sind, den Stellenwert von Bildung und Kultur gar nicht kennen. Und sie sehen, daß kein Mensch in der Partei Karriere machen kann, der in irgendeiner Hinsicht was anderes tut mit den berühmten drei Ausnahmen, siehe Engholm. Der hat ja wohl schonmal n'Buch gelesen und kennt Künstler.
Was ist mit der Unterhaltung?
Unterhaltung heißt nichts anderes, als Erwartungen zu erfüllen. Ob sie Mathematik betreiben oder eine Revue oder Politik: wenn sie die Erwartung eines Publikums erfüllen, dann sagt das nachher: das war schön, genauso hab' ich's mir vorgestellt, doll. Und Lernen, Arbeiten heißt, sich Zumutungen auszusetzen, die abweichen von dem, was ich für wichtig halte, was ich kenne und schon problematisieren kann.
Was halten Sie vom wieder in Mode kommenden Kultursponsoring, auf das sich auch hiesige Kulturpolitiker zunehmend rausreden wollen?
Nicht allzuviel. Vor allem nicht dann, wenn die öffentliche Hand mit Verweis auf die Privatinitiative glaubt, sich von ihren Aufgaben als Kulturstaat entlasten zu können. Muß man sich mal vorstellen, daß jede Straßenkreuzung heute mit vier Doppelampeln, vier Zebrastreifen, Straßenmarkierungen und Pflasterung etc. rund 1,8 Millionen Mark kostet. Da ist noch keine Unterführung dabei. Und dann muß man sich vorstellen, wieviel wir davon haben und das in Beziehung setzen zu den Kultureinrichtungen aller Art, vom Kindergarten bis zur Universität. Dann wird man sehen, daß der Anspruch, ein Kulturstaat zu sein, weit von der Wirklichkeit entfernt ist.
Fragen: Claudia Kohlhase
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