piwik no script img

Die Freude ist schon verflogen

■ Bremen — Addis Abeba / Zwei Interviews über den Umsturz in Äthiopien

Rund 140 äthiopische Staatsangehörige leben in und um Bremen, wobei sich die meisten nicht als Äthiopier verstehen, sondern als Eritreer, Oromo usw. Die taz fragte zwei von ihnen, was sie von dem Umsturz in Addis Abeba halten. Terfa Dibaba (50) ist Diplom-Pädagoge. Er hat seine Heimat aus politischen Gründen verlassen und arbeitet für die Oromo-Flüchtlings-Hilfe.

Terfa DibabaFoto: Sabine Heddinga

taz: Der äthiopische Diktator Mengistu hat sich nach 16 Jahren Herrschaft ins Ausland abgesetzt, die Rebellen sind in der Hauptstadt Addis Abeba. Freuen Sie sich?

Terfa Dibaba: Nein. Ich habe von einem derartigen Übergang nichts erwartet. Der Wechsel ist ein purer Machtwechsel. Statt der alten amharischen kommt jetzt eine tigrayische Regierung. Beide gehören zum abessinischen Kulturkreis. Für uns, die wir nicht zu dieser Volksgruppe gehören und uns zu Schwarzafrika bekennen, ist dieser Wechsel ein katastrophaler Zustand.

Ihr Heimatland ist Äthiopien, bezeichnen Sie sich als Äthiopier?

Nein. Ich bin ein Oromo. Ich gehöre zum Oromo-Volk. Mit 26 Millionen sind die Oromo die Mehrheit der Bevölkerung in Äthiopien. Es gibt in Äthiopien

keine einzige Schule, in der Oromo-Kinder ihre Muttersprache sprechen können. Äthiopien — das bedeutet für mich: eine zentralisierte Machtstruktur der abessinischen Elite.

Warum mißtrauen Sie der eritreischen und der tigrayische Befreiungsbewegung?

Weil sie keine demokratische Kultur kennen. Die Befreiungsbewegungen in Eritrea und Tigray sind sehr zentralistisch orientiert. Das ist die abessinische Tradition. Wir wissen ganz genau, was vorgestern passierte: Leute waren in Addis Abeba spontan auf die Straße gegangen, weil sie mitbekommen haben, daß die eritreische Befreiungsbewegung Eritrea aus dem äthiopischen Staatsgebilde herauslösen wollte. Im Namen der Demokratie wurde die Demonstration gestoppt. Acht Menschen wurden erschossen. Deswegen hat die Befreiungsbewegung der Oromo vorgeschlagen, eine von der UNO zusammengesetzte Kommission, sollte eine Übergangsverwaltung bilden für die Dauer von zwei Jahren — damit die Regionen langsam und demokratisch zusammenwachsen können. Aber das haben die Rebellen nicht gewollt. Sie wollten alle schnell nach Addis Abeba, rasch rein in das Machtzentrum.

Tesfaye Balcha (48) ist Ingenieur und lebt seit 1969 in der Bundesrepublik.

taz: Freuen Sie sich darüber, daß das Mengistu-Regime zusammengebrochen ist?

Tesfaye Balcha: Daß Mengistu aus dem Land heraus ist, ist eine Erleichterung. Aber es ist ein Mißerfolg, daß das Volk es versäumt hat, ihn festzuhalten und zur Rechenschaft zu ziehen. Die Freude darüber, daß die Rebellen in der Hauptstadt sind, ist schon verflogen.

Einige Tage lang hatten Sie Grund zur Freude?

Ja. Wir haben auf diesen Tag lange gewartet, daß der Krieg zu Ende geht. Aber es sieht nicht nach einem dauerhaften Frieden aus. Die Enttäuschung war, daß nicht alle oppositionellen Gruppen zu diesem Friedensgespräch

eingeladen waren, sondern nur die drei, die die Amerikaner ausgeguckt hatten.

Wer war denn nicht dabei?

Zum Beispiel die EPRP, eine politische Gruppe, die alle ethnischen oder nationalen Gruppen einschließt und nicht, so wie die Medien, die Bevölkerung in Amhara, Eritrea, Tigray, Oromo unterteilt. Es gibt politische Gruppierungen, die über die Nationalitäten und ethnischen Grenzen hinaus, die Bevölkerung als äthiopische Bevölkerung ansehen.

Sie sind von Ihrer Herkunft Oromo. Bezeichnen Sie sich als Äthiopier?

Ja. In Äthiopien gibt es viele ethnische Gruppen, viele Nationalitäten, aber sie haben in dem Land eine gemeinsame Geschichte. Das Loslösen der einzelnen Regionen von Äthiopien sehe ich deshalb nicht als Lösung an. Die Lösung kann nur sein, daß die politische Macht dezentralisiert wird: Ein förderalistisches Äthiopien.

Was halten Sie von der These, die Oromo als Mehrheitsvolk würden nun von den siegreichen Tigray unterdrückt?

Alle politischen Gruppierungen stellen in ihrer Agitation die Verhältnisse so dar, als ob das eine Volk vom anderen unterdrückt würde. Das ist nicht das Problem in Äthiopien. Sondern es ist das Problem, daß in einem unterentwickelten Land die Hauptstadt mit Infrastruktur ausgestattet ist und auf den ländlichen Gebieten keine Entwicklung stattgefunden hat.

Was ist Ihre Prognose?

Ich fürchte, daß neue Kämpfe ausbrechen.

Int.: B.D.

Tesfaya Balcha

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen