: Müller-Kuby- Diagnosen
Innerhalb der Reihe »Deutsch in einem anderen Land« lud die Freie Volksbühne am Mittwoch abend die Autoren Erich Kuby und Heiner Müller, die sich in der Beschreibung derzeitiger politischer Zustände und menschlicher Befindlichkeiten in der ehemaligen DDR versuchten. Im Gegensatz zu Kuby, der eine neuerliche Expansion besonders nach Polen infolge »bundesdeutscher Machtstrategien« befürchtet, meinte Müller im Verlauf der Diskussion: »Die Angst im Ausland vor Großdeutschland ist völlig unrichtig.« Es handele sich um ein Großdeutschland mit »Krankenteilen«. Ihn beruhige zuzusehen, wie die Schlange den Igel DDR verdaue.
Die insgesamt düstere Prognose, in die die Autoren auch die Kulturszene einbezogen, stieß beim Publikum im überfüllten Foyer zeitweilig auf heftigen Widerspruch. Kuby will eine Fortsetzung zu seinem 1990 veröffentlichten Buch Der Preis der Einheit schreiben. Der in Venedig lebende, durch seine über Jahrzehnte kritisch-distanzierte Haltung gegenüber politischen Entwicklungen im geteilten Deutschland bekannte Journalist hat dafür bereits zahlreiche Gespräche und Interviews mit Wissenschaftlern und Künstlern in den ostdeutschen Ländern geführt. Nach seiner Meinung ist die »Brachialgewalt beispielhaft«, mit der der Einigungsprozeß vorangetrieben werde. Sie gleiche einem »Planiersystem mit Dampfwalze, die über einen Ameisenhaufen fährt«. Scharfe Kritik richtete Kuby an die Bundesregierung, deren Politiker er »blinde Hühner« nannte. Der Einigungsvertrag sei ein Unterwerfungsvertrag. Bei der »Unterordnung unter die Macht des Geldes« vollziehe sich eine zunehmende Orientierungslosigkeit der Menschen.
Innerhalb der Reihe »Deutsche in einem anderen Land«, die sich Lesungen und Gesprächen mit DDR- Schriftstellern widmet, waren in den vergangenen Monaten unter anderen Stefan Heym, Stephan Hermlin, Karl Mickel, Rainer Kirsch, Kerstin Hensel, Peter Brasch und Lutz Rathenow zu Gast. In diesem Monat folgen außerdem Gespräche mit Fritz R. Fries und Adolf Endler.
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