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Wer gegen Folter ist, gilt als Terrorist

■ Bericht aus Kurdistan: Türkische Armee greift PKK-Stellungen im Irak an/ Alliierte Truppen gucken zu

Berlin (taz) — Die meisten aus dem Irak in die Türkei geflohenen Kurden kehren in den Irak zurück — nicht weil sie dort sicher sind, sondern weil sie sich „nicht weiter dem Terror der türkischen Regierung aussetzen wollen“. Diese Erfahrung machte die ehemalige grüne Bundestagsabgeordnete Angelika Beer in Türkisch-Kurdistan.

Angelika Beer kehrte zusammen mit den nordrheinwestfälischen Landtagsabgeordneten Helga Gießelmann (SPD) und Bärbel Höhn (Grüne) und dem Bremer Landesvorstandsmitglied der Grünen, Uwe Helmke, am Mittwoch von einer einwöchigen Reise aus dem türkisch- irakischen Grenzgebiet zurück. Die Delegation besuchte unter anderem ein Flüchtlingslager in der Nähe der Grenzstadt Silopi. Dort hielten sich von ursprünglich 25.000 Flüchtlingen noch etwa 6.000 auf.

„Die Zelte waren leer und auch die meisten der im Lager zurückgebliebenen Kurden bereiteten sich auf die Rückkehr in den Irak vor“, erklärte Angelika Beer gegenüber der taz. Obwohl die meisten Flüchtlinge den Verhandlungen zwischen Kurden und Saddam Hussein in Bagdad sehr skeptisch gegenüber stehen, wolle nur eine Minderheit in der Türkei bleiben, wo „sie nicht als Flüchtlinge anerkannt werden, sondern als sogenannte Gäste in Lager eingepfercht werden“.

Irakische Kurden hätten der Delegation erzählt, türkische Soldaten hätten selbst einen Minengürtel entlang der Grenze gezogen, um so die Flüchtlingswelle aus dem Irak abzuhalten.Die Situation in Türkisch- Kurdistan habe sich verschlechtert: „Rechtsanwälte und Vertreter von Menschenrechtsorganisationen haben uns gegenüber immer wieder den Vergleich zwischen Saddam Hussein und der türkischen Regierung gezogen. Die türkische Regierung mache jetzt das gleiche wie Saddam in den letzten Jahren: Politik der verbrannten Erde. Ziel der Türkei sei es, den Südosten des Landes kurdenfrei zu machen.“

Nach Informationen der grünen Politikerin führt das türkische Militär im Schatten der internationalen Hilfsmaßnahmen weiterhin einen Vernichtungskrieg gegen die kurdische Guerillaorganisation PKK. In der letzten Woche habe es sieben Übergriffe von türkischem Militär auf irakisches Territorium gegeben, wohin sich Einheiten der PKK zurückgezogen haben. Die alliierten Truppen würden nichts gegen diese Aktivitäten unternehmen. In den Cudi-Bergen an der türkisch-irakischen Grenze wunderten sich die Bewohner über Überflüge alliierter Flugzeuge, die nichts mit dem Abwurf von Hilfsgütern zu tun haben, sondern die kurdische Guerilla ausspähen.

Nach Ansicht von Angelika Beer gibt es international „ein stilles Agreement“. „Man hat nichts gegen die Unterdrückung des kurdischen Volkes, nur darf sie nicht so grausam passieren, wie sie Saddam Hussein ausgeführt hat. Man will keinen selbstständigen kurdischen Staat.“ Als wichtigstes Repressionsmittel gegen die Kurden in der Türkei bezeichnet Angelika Beer das von der Regierung am 12. April beschlossene „Antiterrorgesetz“: „Das Gesetz ist ein Freibrief für jede Art von Übergriffen durch das Militär. Unter dem Titel „Wir müssen unseren Staat schützen“ darf das Miltär alles. Wer den Staat, die Zensur oder Folter kritisiert oder sich für die Menschenrechte einsetzt, kann wegen Unterstützung von Terroristen verhaftet werden.“

Daß die türkische Regierung die Kraft hat, gegen Autonomiebestrebungen der Kurden im eigenen Land vorzugehen, läge vor allem an der internationalen Unterstützung der Türkei. Ein Anwalt habe ihr erklärt: „Die Regierung in Ankara ist nur stark, weil sie von Europa unterstützt wird. Mit ihr alleine würden wir schon fertig werden.“

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