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„Viele Leute hier wollen den Kampf“

Nach der Machtübernahme durch die EPRDF-Rebellen herrscht in Äthiopiens Hauptstadt nur scheinbar Normalität/ Tote bei Demonstrationen und verstärkte Militärpräsenz/ „Wir wollten Mengistu nicht, aber die Tigrays wollen wir auch nicht“  ■ Aus Addis Abeba Bettina Gaus

Was könnte friedlicher sein als Äthiopiens Hauptstadt Addis Abeba an diesem Donnerstag vormittag? Autos, sogar Taxis, fahren auf den Straßen. Viele Angestellte haben ihre Arbeit wieder aufgenommen. Mitarbeiter von Ministerien wurden aufgefordert, sich bei ihren Behörden zu melden, viele sollen ihre Posten behalten. Die Polizei regelt wieder den Verkehr. Geschäfte sind geöffnet. Zwar gibt es in weiten Teilen der Stadt kein Wasser und nur selten Strom, zwar fehlt es in den Krankenhäusern an Ärzten und Medikamenten, aber denoch sieht es so aus, als habe sich das Leben in Addis Abeba nur drei Tage nach dem Einmarsch der EPRDF-Kämpfer fast vollständig normalisiert.

Nichts ist jedoch so, wie es scheint in Äthiopiens Hauptstadt. Die Ruhe ist trügerisch, unter der Oberfläche gärt es. Erst am Dienstag hatte sich aufgestaute Wut auf gefährliche Weise Luft gemacht: Eine zunächst kleine Gruppe von Demonstranten war durch die Innenstadt gezogen. Zweige schwenkend rief sie antiamerikanische Slogans. „Die USA haben uns in London verkauft“, meinte einer. Grund des Zorns: Viele Einwohner von Addis Abeba, die zum Volk der Oromo oder zu den bislang privilegierten Amharen gehören, wollen nicht von den Tigrays regiert werden, die in der neuen Übergangsregierung dominieren. Jeder Weiße, den die Demonstranten zu Gesicht bekamen, war in Gefahr. Unser Auto wurde mit Steinen beworfen. Andere Journalisten wurden in der Nähe der US-Botschaft von wütenden Demonstranten angegriffen und konnten sich nur mit knapper Not retten, zwei von ihnen leicht verletzt. Am Abend demonstrierten Tausende gegen die neuen Herren. Die Streitkräfte der ERPDF versuchten zunächst, mit Schüssen in die Luft die Menge zu zerstreuen — dann floß Blut. Die Zahl der Todesopfer wird auf etwa zehn geschätzt. Auch gestern kam es im Verlauf des Tages zu einer kurzen neuerlichen Demonstration, in deren Verlauf ein Mann getötet wurde. Mittlerweile stehen an vielen strategischen Plätzen Panzer mit schweren Geschützen.

Beobachter äußerten sich pessimistisch über die Entwicklung: „Die 10- bis 12.000 bewaffneten Kämpfer, die die EPRDF in Addis hat, reichen nicht aus, um eine Dreimillionenstadt unter Kontrolle zu halten“, meinte ein Diplomat. „Die USA haben den Widerstand der Bevölkerung hier gegen die Tigrays unterschätzt. Bisher versucht die EPRDF, die Leute durch Freundlichkeit zu gewinnen, aber das ist aussichtslos. Wenn sie aber anfangen, wirklich zu schießen, wird es fürchterlich — sie haben gezeigt, daß sie es können. Um die Lage zu stabilisieren, müßte die neue Regierung eine Ausgangssperre erzwingen und erst einmal alle Waffen von den Leuten einsammeln.“

Ein Aufruf, die Waffen abzuliefern, ist inzwischen erfolgt — wie viele sich danach richten, ist ungewiß. Inzwischen traf am Donnerstag Verstärkung aus dem Nordosten ein: Lastwagen um Lastwagen rollte in die Stadt, vollbesetzt mit müde und ernst aussehenden Kämpfern der EPRDF.

Aber die Lage ist nach wie vor explosiv. Feindselige Blicke streifen uns westliche Ausländer auf den Straßen. Ein Mann ruft uns zu: „Haut ab hier! Ohne Einmischung eurer Politiker hätten wir viele Probleme überhaupt nicht.“ Ein anderer sagt: „Wir wollten Mengistu nicht, aber die Tigrays wollen wir auch nicht. Sie sind tribalistisch und undemokratisch. Es wird nicht nur Demonstrationen geben, es wird wieder Krieg ausbrechen. Viele Leute hier wollen den Kampf.“ Fürchtet er nicht, daß Addis Abeba auf ebenso fürchterliche Weise zerstört werden könnte wie Somalias Hauptstadt Mogadischu zu Beginn des Jahres? „Wenn es dazu kommt, dann ist das eben unser Schicksal.“

Gesprochen wird viel von der Zugehörigkeit zu den verschiedenen Völkern Äthiopiens, die sogar Sprachbarrieren zu überwinden haben. Politische Programme scheinen derzeit nicht diskutiert zu werden. Eine Ausnahme bildet da lediglich die von den eritreischen Rebellen gewünschte Unabhängigkeit ihrer Provinz, die bei der Bevölkerung von Addis weitgehend auf Ablehnung stößt. Daß ausgerechnet die USA jetzt mit einer marxistischen Übergangsregierung identifiziert werden, deren Kämpfer von arabischen Staaten unterstützt wurden, ist nur einer der vielen Widersprüche der gegenwärtigen Situation.

Ein US-Diplomat gibt zu, daß seine Botschaft die Demonstrationen der letzten Tage nicht erwartet hatte: „Sie waren für uns eine völlige Überraschung, und ich denke, der Zorn gegen uns gründet sich auf ein Mißverständnis hinsichtlich unserer Rolle bei der Entscheidung der EPRDF, in Addis einzumarschieren. Wir hatten darüber keinerlei Kontrolle.“ Er hofft, daß sich die Lage nun stabilisiert.

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