INTERVIEW
: „Für mich kommt ein Zwangsergänzungsdienst auf keinen Fall in Frage“

■ Staatssekretär Peter Hintze (CDU) wehrt sich gegen die Vorschläge aus den eigenen Reihen: Er will dafür eher die Freiwilligen-Dienste im In- und Ausland ausgebaut sehen

taz: Seit dem Krieg am Golf gibt es astronomisch hohe Zahlen von Verweigerern. Ist die Planbarkeit des Wehrpersonals durcheinandergeraten?

Peter Hintze: Wir können im ersten Halbjahr 1991 etwas beobachten, was es in der Geschichte der Verweigerung und des Zivildienstes noch nicht gegeben hat, nämlich daß ein einzelnes politisches Ereignis das Verhalten dermaßen gravierend beeinflußt. In den ersten vier Monaten dieses Jahres gab es schon genausoviele KDV- Anträge wie in 1990 insgesamt, und das nur auf die alten Bundesländer bezogen.

Werden diese hohen Verweigererzahlen zum Dauerzustand, oder sind das nur die Nachwehen des Golfkriegs, wo doch Ihr Parteifreund Stoltenberg mutmaßte, Wehrpflichtige seien aufgehetzt worden?

Wir haben einen besonders starken Anstieg bei Reservisten (Verfünfzehnfachung zum Vorjahr, d. Red.). Das wurde begünstigt durch die Kürzung des Zivildienstes, weil solche Verweigerer keinerlei Wehrübungen machen müssen und auch keinen anschließenden Zivildienst. Daß solche Leute jetzt verweigern, ist menschlich zu verstehen. Aber auch bei den Ungedienten hat sich die Steigerung fortgesetzt.

Läßt sich denn heute schon die ungefähre Gesamtverweigererzahl für 1991 prognostizieren?

Nein, das wäre wissenschaftlich unredlich. Aber sie wird signifikant höher ausfallen als in irgendeinem Jahr zuvor. Ich mußte mich selbst auch korrigieren, als ich im Februar geglaubt hatte, bei den vielen Anträgen während des Golfkriegs habe es sich vielfach nur um Vorgriffsanträge gehandelt — also um Leute, die ohnehin verweigern wollten und es nur etwas früher gemacht haben.

Paradoxerweise machen aber jetzt nicht — wie früher immer — die Verweigerer Sorgen, sondern die Nichtverweigerer. Jetzt heißt es schon, es gebe keine Wehrgerechtigkeit mehr. Müßten Sie, oder die Bundeswehr, jetzt nicht für die Verweigerung werben?

Zunächst einmal freue ich mich mit der taz darüber, daß Deutschland größer und die Bundeswehr kleiner geworden ist. Das ist das Ergebnis einer erfolgreichen Friedenspolitik dieser Bundesregierung...

Soso...

...Aber jetzt kommt es auf eine Grundsatzentscheidung an: Wollen wir die allgemeine Wehrpflicht beibehalten? Das möchte ich klar bejahen, weil mit jedem Jahrgang ein permanenter Austausch zwischen Bundeswehr und Gesellschaft stattfindet. Das kann den Charakter der Bundeswehr nur positiv beeinflussen. Aber dann kommt die Frage der Wehrgerechtigkeit. Da muß man zunächst mal fragen: Wie sorgfältig sind die Abgeordneten mit den Statistiken umgegangen, mit denen sie jetzt agieren und argumentieren, es breche alles zusammen.

Da braut sich ja einiges zusammen. Insbesondere aus der CDU werden Stimmen nach einem neuen Pflicht- oder Ergänzungsdienst laut...

Für mich kommt ein soziales Pflichtjahr nicht in Frage, ebensowenig ein Zwangsergänzungsdienst. Man würde Leute in einen sozialen Bereich hineinzwingen, die dazu ihrer inneren Einstellung nach gar nicht bereit sind. Ohnehin ist so was nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Zudem wäre es ein Verstoß gegen die europäische Menschenrechtskonvention.

Es würde ja auch die Bürokratie neu aufblähen. Ein Bundesamt für den Zwangsdienst müßte her...

Sicher. Aber ein Mehr an Bürokratie ist in Deutschland noch nie ein wichtiges Argument gewesen. Es sind sachliche Gründe, die dagegen sprechen.

Aber was wäre die Alternative zum Zwangsdienst?

Es gibt heute schon die Konzeption, die neben Bundeswehr oder Zivildienst zwei andere Bereiche vorsieht: Zwei Jahre Entwicklungsdienst und einen berufsbegleitenden Dienst etwa im Katastrophenschutz. Beides auf freiwilliger Basis. Jemand verpflichtet sich zum Beispiel an Wochenenden oder in Ferienzeiten zu einem sozialen oder ökologischen Dienst, etwa im Umfang wie beim Katastrophenschutz. Oder man könnte statt eines üblichen Dienstes am Stück acht Jahre lang im Sonntagsdienst ins Krankenhaus gehen und dort die Pfleger entlasten. Oder Auslandsdienste — so was wird heute von den Jugendlichen schon total angenommen, sogar unter härtesten Bedingungen, bei kleinstem Taschengeld. Auch wenn nicht die ganze deutsche Jugend nach Manhattan will, um an der Lower East Side verarmten jüdischen Bürgern zu helfen, wie es engagierte Mitglieder der Aktion Sühnezeichen zur Zeit tun. Es gäbe genügend Projekte und Verbände, die auch andere Sachen gerne machen würden, Betreuungen in der Nachbarschaft oder in Bürgerzentren. Und wenn einer freiwillig in die Psychiatrie geht, macht der das ja ganz anders als unter Zwang.

Dieses Modell funktioniert aber nur, wenn sich genügend Leute freiwillig melden...

Da habe ich überhaupt keine Sorge, weil die Bereitschaft zum Engagement sehr sehr groß ist. Schon heute gibt es viel mehr Anfragen, als die Träger Leute aufnehmen können. Aber nur bei freiwilligen Diensten. Die Verbitterung vieler, daß sie dienen müssen und andere nicht, wäre vom Tisch, und die Bundeswehr wird ihren Bedarf an Menschen, auch wenn das die taz nicht gerne hört, mit Sicherheit immer decken können.

Ihre Vorschläge sind jetzt neu. Aber wie lassen sich denn die vorschnellen Vorschläge zum Zwangsdienst, gerade in Ihrer Partei, politisch stoppen?

Ich habe mit einer Reihe von Leuten gesprochen und dabei folgendes festgestellt: Die treibende Idee ist die Wehrgerechtigkeit. Das ist soweit richtig, daß alle etwas für die Gemeinschaft tun, daß nicht die einen dienen und die anderen schon verdienen. Aber ich hoffe, daß wir von diesen Vorschlägen schnell wieder herunter sind.