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Double Trouble mit dem doppelten Glück

Zum ersten deutschen Zwillingstreffen in Frankfurt kamen über 300 Paare/ Vorausgegangen waren Untersuchungen über die Auswirkung des Erbgutes auf die Ängste der Zwillinge  ■ Von Mathias Bröckers

Frankfurt (taz) — Wer in Frankfurt in diesen Tagen doppelt sieht, muß nicht zu tief in den Äppelwoi-Bembel geblickt haben: Am letzten Mai-Wochenende sind über 600 Zwillinge in der Stadt. Die mehr als 300 Paare sind zum ersten deutschen Zwillingstreffen angereist, das Tobias Angert, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Franz-Weidenreich-Institut für Anthropologie und Humangenetik an der Frankfurter Universität, organisiert hat. Auslöser des ungewöhnlichen Kongresses war die Doktorarbeit des Zwillings-Forschers über die Frage, was die Ängste eines Menschen grundlegend prägt — sein Erbgut oder seine Umgebung. Während seiner mehrjährigen wissenschaftlichen Recherchen hatte Angert 270 Zwillingspaare interviewt und war bei dem Treffen immer wieder mit der gleichen Frage bedrängt worden: „Können wir uns nicht mal alle treffen, um Probleme und Erfahrungen auszutauschen?“ Anders als in den Vereinigten Staaten, wo „Twin Societies“ sich um Eltern und ihr „doppeltes Glück“ kümmern, gibt es vergleichbare Anlaufstellen in Deutschland nicht. Und so entschloß sich Tobias Angert, zum Abschluß seiner Doktorarbeit alle interviewten Zwillinge einzuladen, zu einem Forum, bei dem vor allem der Erfahrungsaustausch im Vordergrund steht. Außerdem halten sich medizinische Spezialisten und Psychologen ratsuchenden Zwillings-Eltern und Kindern zur Verfügung, Referate sollen über den aktuellen Stand der Zwillingsforschung informieren. Am Ende, hofft der Organisator, „so etwas wie einen Forderungskatalog der Mehrlinge formulieren zu können“.

Einen „Forderungskatalog“ jetzt auch noch von Zwillingen? In der Tat erweist sich das doppelte Glück oft genug als „double trouble“. Es beginnt bei der „Risikoschwangerschaft“ der Zwillingsmutter, steigert sich nach der Geburt mit doppeltem Füttern, Wickeln, Baden zu garantiert schlaflosen Nächten, das ein dynamisches Duo den Eltern bereiten kann, und ist mit den Problemen unterschiedlichen Schlaf,- Eß,- und Entwicklungsverhaltens längst nicht zu Ende. Für die Kinder beginnen die Probleme spätestens bei der Identitätsfindung: „Das schwierigste Wort, das Zwillinge lernen müssen“, so Tobias Angert, „ist das Wort ,ich‘.“ Das Interesse der Forscher richtet sich vor allem auf eineiige Zwillinge, die über identisches Erbgut verfügen. Der Anthropologe Nils Gallei berichtete von dem überraschenden Ergebnis einer amerikanischen Studie, die die Gewohnheiten und Vorlieben getrennt erzogener Zwillingspaare untersucht hat. Danach seien die Gemeinsamkeiten bei den getrennt erzogenen Paaren größer als bei zusammen aufgewachsenen Zwillingen. Ein Ergebnis, das von einem Zwillingspaar bestätigt wird, welches durch verschiedene Kleidung, Hobbies, und Freundskreise schon immer Wert auf eine eigenständige Persönlichkeit legte: „Seit mein Bruder und ich nicht mehr unter einem Dach wohnen, wird unser Geschmack immer ähnlicher.“ Auf dem Treffen in Frankfurt tragen sie ein weißes und ein lila Sporthemd, die Brille des einen ist rund, die andere eckig, aber beide haben einen Goldrand. Trotz betonten Ich- Gefühls kommen Zwillinge also am Wir-Gefühl nicht vorbei — doch es gibt auch Ausnahmen dieser Regel, Paare, die ihr Leben wie klassische Klons verbringen. Mit denselben Berufen, Hobbies, Freunden, in absoluter Gemeinsamkeit, die in zahlreichen Fällen auch dazu führt, was Ich- betonten Zwillinge als die reine Hölle erscheint: eine Doppel-Hochzeit mit einem anderen Zwillingspaar.

Die Ergebnisse der neueren Zwillingsforschung sind in Deutschland, dem Ort der Experimente des NS- Doktors Mengele, auch von politischer Brisanz. „In der ehemaligen DDR“, berichtet Tobias Angert, „hat man zwar bis 1984 intensive Zwillingsforschung betrieben. Die Ergebnisse entsprachen aber nicht den Erwartungen der damals politisch Verantwortlichen, also wurden die Untersuchungsreihen — von oben — behindert.“ Die Erkenntnisse, daß die Vererbung den einzelnen mehr prägt als erwartet, paßte nicht ins sozialistische Weltbild. Und sie werden auch hier, wo die Arbeit Angerts über die genetischen und umweltbedingten Einflüsse auf Ängste ähnliche Schlüsse zulassen, nicht so leicht zu integrieren sein — dazu ist der Erbgut-Wahn der Nazis noch zu präsent. Daß diese Vergangenheit der weiteren Erforschung des Zwillings-Phänomens dennoch nicht im Wege stehen sollte, kann der Verfasser dieser Zeilen nur bestätigen. „Betroffen“ hat mich an der Zwillings-Vaterschaft, außer den täglichen Tiefschlägen der Praxis, theoretisch vor allem eines gemacht: die Erkenntnis, das „in den Genen“, im Informations-Transfer der Natur, viel mehr liegt, als unser mit allen guten Sozialisationstheorien gewaschener Verstand zu denken vermag.

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