: Straßburg wirft der Türkei Folter vor
■ Vertraulicher Bericht der Europäischen Kommission für Menschenrechte erhebt schwere Vorwürfe gegen Regime
Basel (taz) — Gleich vierfach hat der türkische Staat die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verletzt, als er zwei aus dem Exil zurückgekehrte Gewerkschaftsführer im November 1987 noch auf dem Flughafen verhaften ließ und sie anschließend zweieinhalb Jahre lang in politischer Gefangenschaft behielt.
Diese Vorwürfe werden in einem Bericht der Europäischen Menschenrechtskommission erhoben, die sich auf Klage der beiden bekannten damaligen Gefangenen, Haydar Kutlu und Nihat Sargin, mit dem Fall in Straßburg zu befassen hatte. Der Fall hatte wiederholt weltweit zu Protesten geführt.
In ihrem Bericht hält die juristische Kommission fest, die beiden Kommunisten seien ohne genügende richterliche Anordnung festgenommen, außerdem nicht sofort vor eine richterliche Instanz gestellt und nicht rechtzeitig zum Unschuldsbeweis zugelassen worden. Außerdem seien sie während der 19tägigen Polizeihaft in Ankara gefoltert worden. Dadurch seien die Artikel 3 sowie 5, Absätze 1, 3 und 4 der EMRK verletzt worden, schreiben die Straßburger Richter.
Die Angaben aus dem streng vertraulichen und unveröffentlichten Bericht stammen aus der als seriös geltenden türkischen Tageszeitung 'Cumhuriyet‘. Aus sicherer Quelle in Straßburg wurde indes die Richtigkeit sämtlicher Angaben bestätigt. Demnach weist der Bericht einen Umfang von rund 150 Seiten auf; er wurde im Januar 1991 abgeschlossen und im April der Türkei übergeben und den übrigen Mitgliedsstaaten inklusive der Schweiz zugesandt.
Laut 'Cumhuriyet‘ soll das türkische Regime in Erwägung ziehen, beim Gerichtshof für Menschenrechte Beschwerde einzureichen. Der Kommissionsbericht sei „tendenziös und mit Vorurteilen behaftet“; er sei „unter dem Einfluß von amnesty international“ entstanden, wird die türkische Regierung zitiert. Nach Einschätzungen türkischer Menschenrechtsanwälte aus Istanbul bildet der Bericht aus Straßburg einen schweren Prestigeverlust für die türkische Regierung und einen Rückschlag in ihren Bemühungen, sich den Anschein eines demokratischen Staates nach westlichem EG-Muster zu geben. Beat Leuthardt
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