: An der Kohle scheiden sich die Geister im Dreiländereck
Ein Projekt mit drastischen Eingriffen in die Natur/ Polnisches Kraftwerk Turow Dreckschleuder Nummer1/ 170.000 Tonnen Schwefeldioxid im Jahr ■ Von Matthias Meisner
Bogatynia/Görlitz. Im deutsch-polnischen Grenzgebiet bei Görlitz wird ein Plan aus sozialistischen Zeiten wieder ausgegraben: Der Braunkohleabbau soll von Polen aus bis unter das Grenzflüßchen Neiße ausgeweitet werden.
Befürworter des Projekts erhoffen sich den Erhalt von mehreren tausend Arbeitsplätzen auch auf deutscher Seite. Gegner argumentieren, jahrzehntelange verfehlte Energiepolitik solle fortgesetzt werden — mit dramatischen Umweltschäden für eine ohnehin gebeutelte Region.
Das deutsche Kraftwerk Hagenwerder bei Görlitz „interessiert sich sehr für unsere Kohle“, berichtet stolz Tadeusz Kaczarewski, Hauptingenieur beim polnischen Tagebau Turow. Gleich gerät er ins Schwärmen über die am sogenannten Neiße- Pfeiler liegende Braunkohle: „Sehr geringer Aschegehalt, wenig Schwefelanteil, geringe Erschließungskosten.“ Fünf Millionen Tonnen Braunkohle pro Jahr würden die Polen liefern — wenn die deutsche Seite einer Verlegung der Neiße zustimmt. Daß dieses Projekt mit seinen drastischen Eingriffen in die Natur nicht auf immer versunken blieb, dafür sorgte dieser Tage der Görlitzer Landrat Dieter Liebig. Dem CDU-Politiker geht es um die Zukunft des Industriestandortes Görlitz, um den mittelfristigen Weiterbetrieb des Kohle-Kraftwerkes Hagenwerder — mit dem dann lohnenden Einbau einer aus Bundesmitteln geförderten Entschwefelungsanlage. Schützenhilfe für sein Konzept bekam Liebig aus Bonn. Umwelt- Staatssekretär Bertram Wieczorek: „Es kann und darf nicht sein, Umweltentlastungen nur durch Produktionsstillegungen zu erreichen.“
Doch es gibt auch viele Menschen in der Lausitz, die der Braunkohle keine Zukunft mehr geben. Dazu trägt das Kraftwerk Turow im polnischen Grenzstädtchen Bogatynia bei, der wohl größte Umweltverschmutzer der Gegend.
Zehn Prozent des polnischen Stroms kommen von dort, 170.000 Tonnen Schwefeldioxid kommen Jahr für Jahr aus den vier Schornsteinen. Die Entschwefelung des 2.000 Megawatt-Kraftwerkes — die Leistung von Turow ist zehnmal so hoch wie die von Hagenwerder — soll bis 1996 abgeschlossen sein.
Die Finanzierung dieses Vorhabens ist allerdings bisher nicht geklärt: „In der DDR und auch bei uns war Umweltschutz immer nur ein Schlagwort.“ Wohl nicht ohne Grund ist bei den für die Arbeiter des Kraftwerks Turow organisierten Erholungsurlauben an der Ostsee die ärztliche Behandlung gleich eingeschlossen.
Gleich um die Ecke des 1962 erbauten Turow-Kraftwerkes hat der gleichnamige Tagebau kilometerweit Mondlandschaften entstehen lassen, die Rekultivierung kommt nur zögernd voran. Aus Sorge um die Umwelt hat sich Zittaus Landrat Heinz Eggert (CDU) inzwischen auf eine Fehde mit seinem Kollegen Liebig eingelassen.
Mit Zahlen kann er belegen, daß inzwischen 80 Prozent des Waldbestandes der Region geschädigt sind, vor allem wegen des sauren Regens. Kinder aus dem schlesischen Industrierevier, so Daten von Umweltschützern, erkranken fünfmal öfter als ihre Altersgenossen in anderen Teilen Polens. dpa
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