Peter Zar, Superstar

■ Bremens petrinische Epoche ist angebrochen: Peter der Große und sein Kreml-Gold übersäen Übersee-Museum

Da ist er, der kostbar ferne Gegenstand, und zieht uns heran. Und wir haben ein Pelzgefühl, aber drunter nichts an. Was sollen wir machen, wenn uns alte Pracht nicht auf neue Gedanken bringen will? Lassen wir uns blenden von Gold, Silber und Edelstein und dem Kartenbestellservice von Bremerhaven bis Posemuckel. Denn Donnerwetter, was sind wir plötzlich wieder wer in der Welt seit Samstag!! Und wie schon mal vor zwei Jahren bei der ersten Kreml-Gold-Ausstellung!

Das offizielle Eröffnungskommando wälzt sich in der zweiten, auf Peter den Großen bezogenen „Schätze aus dem Kreml“-Ausstellung wie in einer Suhle. Nicht, weil es Vergnügen daran hätte. Sondern weil die Sage sagt, daß man mit Groß-Kultur Speck bzw. Wirtschaftsunternehmen ansiedelt. Ich seh' sie schon: die Heerscharen von Managern, die bundesweit ihren Samsonite packen, um in der vom neudeutschen Kulturbegriff wie vom Affen gebissenen Hansestadt neu anzufangen. Denn Kultur ist für trendy Kulturpolitiker ein Wirtschaftsfaktor und damit Kultur light: schonköstliche Freizeitware mit Booh!- Effekt und Stimulans für die Gattin zum Shopping.

Aber promenieren wir doch in den Eingangsbereich, wo wir schon von draußen eine Eingangssituation haben mit nachgestelltem Prunktor und drinnen einen Kaufbereich mit hochwertigem Russen-Nippes wie Faberge- Eiern aus den Kreml-Werkstätten: sind ojoijoi-Preise dran, können mit Rechnung später zugeschickt werden. Im Museums- Shop hängt sortierte Ölkunst von „anerkannten“ russischen Malern! Wo sind wir eigentlich? Im Übersee-Museum? Also da, wo man nicht mal 'n Fuffi überhat für's Magazin? Sagt unser Bürgermeister Wedemeier deshalb das Wörtlein „riskant“ in seiner Eröffnungsrede? Nicht doch, er meint nur die nicht ganz abgesicherte Zahlweise. Knapp sechs (6!) Millionen sind zu verausgaben. Eine Million zahlt Bonn, der Rest sind herrliche Haushaltsmittel und Sponsorzaubering. Man vertraut aber wie auf Gott auf die Besucherzahlen vom letzten Kreml-Mal: 300 000 sollen's gewesen sein. Hat damals auch nicht geholfen! Wir drücken die Daumen! Wer 200 Prunkstücke von Moskau nach Bremen verhandelt hat, der kann bestimmt noch ganz andere Dinger drehen.

Mit 100 Millionen Mark Versicherung, murmeln Eingeweihte, haftet die Interbank in Moskau. Würde auch sonst keiner machen. Überhaupt gut, daß es die Russen gibt. Solche Kunstschätze schickt heute kein Mensch mehr auf Reisen. Aber verließ nicht auch Peter der Große (1672-1725) entgegen aller Gepflogenheiten sein Land, um incognito im Westen Krieger und Erfahrungen zu sammeln? Hach, in Bremen war er auch und hat vielleicht einen Pfurz gelassen, wer weiß? Jedenfalls lernte er Schiffsbauer in Amsterdam und westliche Errungenschaften kennen, regte Lortzing zu „Zar & Zimmermann“ an und brachte 706 Spezialisten mit nach Hause, was ihm den Ruf eines Fensteröffners gen Westen verschaffte. Sonst und im Nordischen Kriege war er recht blutig, ließ auch seinen Sohn zu Tode foltern. Wer wird aber kleinlich sein mit großen Herrschern, Reformer sind eben auch keine Engel. Und dann hat er ja glimmerglitzernde Kostbarkeiten hinterlassen!

Hinter der Tresortüre im 1. Stock wartet eine Art Grabkammer. Hier endlich sollen sie uns, die das Volk und darum im Dunkeln sind, beleuchten: die sagenhaften Becher und Schalen, Leuchter und Pokale, die Perlmutt-Knöpfe und Einlege- Schwerter, die putzig-kleine Ritterrüstung von Jung-Peter und sein Kindersattel, die brokatenen Gewänder, die potzblitzende Diamantenhaube und andere golddurchtriebene Beeindruckungen. Damit keiner schimpft wie 1989, es würde nur Gold glänzen und sonst gar nichts, gibt's eine Begleitausstellung, eine als Multivision getarnte Ton-Dia-Show im Plüsch-Separee und einen Videofilm mit allem, was Kameraschwenks in Moskau und Leningrad hergeben.

Die Begleitausstellung ist der „Großen Gesandtschaft“, also „Peter dem Großen in Westeuropa“ gewidmet und wurde vom bremischen Projekt-Team erarbeitet. Hinter einer russischen Blockhaus-Schleuse mit Split- Appeal können wir der Reise anhand von Zinnfigürchen, Reisekoffern und Brieföffnern nachlaufen und so den Potentaten-Alltag kennenlernen. Mit dem empfehlenswerten Katalog (Edition Temmen, 34.-) kann man sich hier zumindest schlauer machen.

Ein wahrhaft großer Tag für's jetzt große Bremen. Irina Rodimcewa, Leiterin der Staatlichen Kreml-Museen, erinnert auf der Pressekonferenz zumindest an den vor wenigen Wochen gestorbenen Ex-Direktor Ganslmayr und seine in Bremen umstrittenen Verdienste um die Weltberühmtheit des Museums. Der Dolmetscher, Neubremer, versteht nur Meier, keiner korrigiert. Hier interessiert Geschichte, die niemand beunruhigt.

Schließlich hält Klaus Wedemeier seine allessagende Rede, fix abgezupft von seiner Ute. Pfui also über die, die „Vorbehalte gegen kulturelle Höhepunkte“ haben. Denn je höher der Höhepunkt, desto breiter die Bevölkerungskreise, für die alles gedacht ist. Merke: „Produzenten und Dienstleister benötigen qualifiziertes Personal. Dieses stellt hohe Ansprüche an die Lebensqualität des Standortes“. Also müssen die diesbezüglichen „Anforderungen an das kulturelle Umfeld eindeutig herausragen“. Schon hat das Asia Trade Center, das heute eröffnet wird, sein Klientel zu Peters Eröffnung geschickt.

Fast schade: Eine jüngste Studie belegte soeben, daß Kultur in Managers Freizeitverhalten einen vernachlässigbaren Siedlungs-Anreiz darstellt. Un nu? Claudia Kohlhase

Bis 25.8., tgl. 10-20h, DM 10.—