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Wer krempelt hier wen um?

Henry Maske besiegte Yawe Davis (Uganda) nach Punkten und bemüht sich um Imagewechsel  ■ Am Ring Hagen Boßdorf

„Die von Berufsboxern in kapitalistischen Ländern veranstalteten Kämpfe dienen dem Profitinteresse. Der Mensch wird mißbraucht und der sportliche Boxkampf entartet zum Geschäft.“

'Körperkultur und Sport‘, 1987

Von diesem ideologischen Ballast jahrelang eingeschüchtert, führte mich der journalistische Auftrag meines Ressortleiters erstmals in die Höhle des Löwen: Profiboxabend in Berlin. Spannend war allein das Wiedersehen mit einem, der vor zwölf Jahren die gleiche Sportschule besuchte. Während ich zunehmend erfolglos dem runden Handballeder nachhächelte, beherrschte er sein 250-ccm-Motorrad oder die Besucherinnen der Schuldisco. Vor allem aber enttarnte er sich als ein überaus förderungswürdiges Faustkampftalent: Henry Maske.

In Treuenbrietzen geboren, in Ludwigsfelde Boxen gelernt, in Frankfurt/Oder Champion geworden. So gerade ist sein Weg. Als Henry Maske mit 14 Jahren DDR- Meister wurde, hing sein erstes Bild an der Ehrentafel der Sportschule. Als er 1989 als Europameister, Olympiasieger und Weltbester den Amateurring verließ, war er der fleißigste Medaillensammler unter allen deutschen Boxern. Und blieb trotzdem ein Mann, der seine Gegner als Menschen betrachtete, die man nicht unbedingt zerstören muß.

„Amateur- und Profiboxen unterscheiden sich wie Feuer und Wasser. Ich verabscheue, daß der Mensch zur Ware wird“, sprach Henry Maske noch 1990 – und wurde zur Ware. Viele waren verblüfft, als der boxende Oberleutnant der Nationalen Volksarmee die Front wechselte.

„Ich will stets neue, höhere Ziele anstreben“, schob Zauberlehrling Maske seinen Meistern die Schuld an bösen Geistern zu, „so bin ich im DDR-Leistungssport erzogen worden.“ Die höheren Ziele bestanden zunächst im Verdreschen tollpatschiger Berufskollegen, „die nicht gewinnen, sondern nur überleben wollten.“ Henry Maske erlebte den Widerspruch der sportlichen Unterforderung und geschäftlichen Überschätzung. Gute Gegner blieben nämlich aus und damit auch gutes Geld. Trainer Manfred Wolke forderte im Namen seines Schützlings einen dicken Brocken. Den bekam er mit dem WBC-Weltranglisten-Dritten Yawe Davis aus Uganda. Und ich stand am Ring.

Wo ich mich zunächst erholte vom Anblick lockig-lässig-lackaffiger Besucher und ihrer Begleiterinnen, die zu meinem Erstaunen meistens Röcke und Beinkleider vergaßen und nur Jackets um die langen Beine wedeln ließen. Verwirrt dasitzend empfing ich die Zeichen der neuen Zeit: Statt im Vereinstrikot tänzelte Maske in Glitzerbademantel und Pluder- Boxerhöschen durch den Ring. Statt sportfreundlicher Begrüßung knallte er dem Gegner eisstarren Blickes die Handschuh auf die Fäuste. Statt klug abzuwarten, griff er ungestüm den Gegner an. Und fing in der zweiten Runde einen Hieb ein, der seinen 1,88 Meter langen Körper wellenartig durchschüttelte.

„Bleib ruhig Henry“, holte ihn Trainer Wolke in den Ringstaub zurück, „du mußt hier nichts beweisen.“ Maske beendete prompt die Versuche beifallsheischender Kämpferei und kehrte zu seinem strategisch-berechnenden Boxstil zurück, der die Gegner ratlos und das Publikum lustlos werden läßt. „Meine Güte, was haben wir aufeinander eingedroschen“, erinnert sich neben mir nostalgisch ein Boxveteran, „der Maske kann ja gut boxen, aber ein Profi wird der nie.“

Mit der Führungshand stochernd, sammelte der Mathematiker unter den Boxern soviele Punkte, die bei einem Heimkampf allemal zum Sieg reichten. Nach dem Fight probierte der 29. der Weltrangliste das Sprücheklopfen: „Ich wollte ihm immer eine Faust mehr geben. Das war ein kleiner Schritt nach oben, und ich will ganz nach oben.“

Dann müßte er zunächst die Fäuste mit dem Berliner Platzhirsch „Rocky“ Roccigiani kreuzen. Abiturient gegen Fassadenreiniger. Gentleman gegen Bösewicht. Aber Rocky bremst: „Wenn er mich schlagen will, muß er noch lange trainieren. Ich glaube so lange, daß er dann zu alt ist.“ Henry Maske dagegen plant den Weg zum Thron. Der kürzeste: Im September gegen Roccigiani Europameister werden und dann im November einen WM-Fight.

Als ich ihm dazu alles Gute wünschen will, ist Maske unerreichbar. „Gehen se mal zurück hier“, stoppt ein bezopfter, dickärschiger Rotfrack die Fragen der Reporter, „Ricky Shayne will Henry Maske gratulieren.“ Und der berühmte, kettenumhangene Ricky Shayne (Ich zerreiße alle Ketten) meint: „Congretulation, Henry.“ Sagt einer: „Mit dem kannst du ruhig deutsch sprechen.“ Sagt Ricky: „Du gehst ab wie eine Rakete, Henry.“ Sagt Henry: „Ja, danke.“ Denke ich: „Das ist also jetzt Deine Welt, Henry.“ Schweige ich. Und gehe.

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