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Tand, Tinnef und Talmi

■ Design für Peter Aleksejewitsch im Überseemusum / taz-Serie zur Bremer (Innen-)Architektur (7)

Hier bitte das

Architektur-Logo

Prolog

Uwe B. und Henning Sch. / Gespräch vor dem Theater:

Mit 6.000.000 aufeinandergelegten Markstücken könnte vielleicht ein Medienkünstler auf der Breminale — wenn keiner pustet - einen Turm bauen, der so hoch wie der Mount Everest wäre. Oder wie wäre es damit: Mit all dem Schotter könnte man 20 WissenschaftlerInnen mit 20 Sonderausstellungen und 20 Katalogen finanzieren. Oder weitere 6.000 Quadratmeter alte Lagerhallen zu einem dauerhaften neuen Museum mit nationaler und internationaler Geltung umbauen. Auch nix?

Dann zeigen wir eben des Kaisers neue Kleider und alte Hüte und hoffen, daß dabei die BesucherInnen solche Mengen Pommes und Bier in sich schütten, daß Wirtschaft und Wirtschaften eitle Freude haben und behaupten steif und fest, daß das ganze Spektakel etwas mit Kultur zu tun hat und der Völkerfreundschaft dient.

Am Eingang zur Ausstellung wird die kunsthistorisch unvorbereitete BesucherIn von einer Rummeldekoration begrüßt, so pappig und pastös, daß sie nicht einmal für eine Ivan-Rebroff- Gala oder eine russische Tanzbärennummer taugt.

Herrrrreinspaziert!!!

Dabei hatte der Große Peter, Zar, grausamer Herrscher aller Reußen, Schiffszimmermann, Soldat und Seemann, Architekt und Anatom das mittelalterliche Rußland umgepflügt und nur wenig mit Etepetete und Ofenbronze zu tun. Bei seinem letzten Besuch im Jahre 1716 verdrückte sich der aufgeklärte Despot nach einem Saufgelage mit nur wenigen Stunden Schlaf und dickem Kopf aus der Stadt, ohne einen Groschen Trinkgeld zu hinterlassen.

Der Zar wohnte in einer Laube.Foto: Jörg Oberheide

Audienz im Halbstundentakt

Hat die bildungsbürgerliche Familie aus dem Um- oder Ausland ihre Audienz bei Peter gebucht, und ist sie im Halbstundentakt bis in die Eingangshalle des Überseemuseums vorgedrungen, weisen — die LeserInnen ahnen es — goldene Pfeile den Weg: Innen rechts zur Audio-Visions-Schau, links zur selbstgestrickten Begleitausstellung „Peter I. Große Gesandtschft“ und nach oben zu den „Schätzen aus dem Kreml“.

Peterchens Mondfahrt

Erstmal die Audio-Visions-Show reinziehen! Dafür wurde eigens ein Teil der Museumskneipe abgerissen und eine wackelige Bude mit Packpapier tapeziert und in gebrochenen, mehligen Farben wie die Kreml-Mauer angestrichen, daß man unwillkürlich an Peterchens Mondfahrt und Schulaufführungen mit angeklebten Bärten denkt. Ein Bettvorleger weist zum Eingang, wo eine Ufo- Flotte Sahne-Eclairs à la Basilius

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Hütte im Raum

Kathedrale vor einem drohend schwarzen Himmel segelt. Innen, hinter gerafften Türgehängen, entpuppt sich das Ganze mit rot- goldenem Anstrich als eine Mischung von Floh-Kino und Operetten-Puff. Offensichtlich wohnte der Zar in einer Laube. Laube aus Knüppelholz

Und hieraus brach er 1697 zur „Großen Gesandtschaft“ auf. Wo sonst die Südseeabteilung stand, wurde im falschen Maßstab und Gestus armdickes, „russisches“ Knüppelholz zusammengenagelt. Ein zugiges Imitat von Vorstadt- und Vorgartenarchitektur mit einer fröstelnden Ofenattrappe, nichts von Rußland, Winter, Weite.

Peters große Reise nach Westeuropa wird mehr oder weniger zu einer Butterfahrt — mit Schnäppchen hier und da. Steife „Szenen aus dem Leben“ sind in einem nierentischigen und tütenlampigen Ausstellungsdekor aus den 50iger Jahren (unseres Jahrhunderts!) arrangiert. Die „Diplomatie in Brandenburg“ steht kostümiert und grinsend vor Bastelbögen und vor einer fototapetenen Stadtansicht mit den kryptischen Buchstaben C K I L W M D B A C E U G rum und packt den großen Koffer vom Großen Peter alias Gospodin Michailow erst gar nicht aus. Recht so! Der — wie die BesucherInnen — eilt rastlos von Ort zu Ort, trainiert mit Hammer und Sichel in der „Niederländischen Lehrzeit“ und spielt dort als Seemann Schiffeversenken, falls er sich nicht gerade als Bücherwurm verkleidet, heimlich die „Englischen Neuerungen“ reinzieht.

Bescherung

Und dann, endlich: Die „Schätze aus dem Kreml“! Damit die vom Medienrummel heißgemachten BesucherInnen auch gar nicht das Ziel aller Bemühungen verfehlen, geht es munter an einer — was sonst? — Fototapete längs die Treppe rauf, an einer Weihnachtsdekoration für Spekulatius mit viel Goldpapier vorbei zu den

Schleuse zu den Schätzen des DespotenFoto: J. Oberheide

Devotionalien rein. Bescherung! Ein roter Teppich und rote Köpfe im Spiegel der Flurgarderobe. Eine - Sie ahnen es? — Fototapetenlandkarte, fototapetenwogende See, fototapetener Festsaal — angeleuchtet in blau und gelb. Partystimmung, Abholmarktatmosphäre! Viel „Aahhhs“ und „Oohhhs“, aber kein einziger Hinweis auf die, die für die Klunker bluten mußten und denen die Schätze abgerungen wurden. Un

Hier bitte den

Eingang mit Schild

gemütlich wird es erst, wenn zum Schluß der Ausstellung und da, wo Kirche gemeint ist, hinter Butzenscheiben aus Plaste und Elaste des Arbeitnehmers Reihenhausalltag grinst.

Ein leerer Raum mit grauen Säcken, ausgeschütteten Rüben auf dem Boden, Kirchengeläut aus der Ferne, singenden Frauen und Männern bei der Ernte, ein paar Birken, wenig Gerät und Trockeneisnebel hätten dem Bremer Haushalt und auch den Schätzen gut getan. Weniger wäre mehr gewesen. Schade.

urbi

PS Unser Dorf muß schöner werden

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