: Unmut über Pieroths Schönrednereien
■ Wachsende Kritik an Finanzsenator Elmar Pieroth/ SPD-Fraktionschef kündigt »umfängliche Debatte« über den Nachtragshaushalt an/ Sozis vermissen klare Finanzplanung
Berlin. Freunde des Finanzsenators warnen davor, ihn zu unterschätzen. Pieroth sei ein »alter Fuchs«, der in Bonn schon alles heraushole, was herauszuholen sei. Doch seit klar ist, daß Pieroth in Bonn keine müde Mark zusätzlich lockermachen konnte, mehren sich innerhalb der mitregierenden SPD die Zweifel an der Qualifikation des CDU-Politikers.
Der finanzielle Spielraum der Stadt schrumpft, die Kritik am Finanzsenator wächst. Hinter vorgehaltener Hand beschweren sich die Sozialdemokraten schon lange über Pieroths mangelnden Arbeitseifer und seinen Hang, die schwierige Finanzlage nach Möglichkeit schönzureden. Gestern meldete sich SPD- Fraktionschef Ditmar Staffelt erstmals auch mit lauter Kritik am Finanzsenator. Der SPD-Mann kündigte nicht nur eine »sehr umfängliche Debatte« über Pieroths Entwurf für den Nachtragshaushalt an, er übte auch grundsätzliche Kritik. Es ginge nicht an, weiterhin den »Eindruck zu erwecken, es stünde in der Stadt finanziell zum Besten«, monierte Staffelt gestern mit Blick auf Pieroths Äußerungen, die Stadt habe lediglich »Finanzprobleme«, keine »Haushaltskrise«.
Viele Sozialdemokraten, darunter auch Staffelt, fürchten Pieroths Hang zum öffentlichen Optimismus. Diese Grundhaltung sei angemessen gewesen, als der CDU-Politiker noch Wirtschaftssenator war, meint ein SPD-Mann. Für einen Finanzpolitiker jedoch zieme sich besser die skeptisch gefurchte Stirn und das stete Händeringen angesichts der knappen Kassenlage.
Ab Mittwoch berät der parlamentarische Hauptausschuß über den Nachtragshaushalt. CDU und SPD trafen sich bereits am Samstag zu einer Vorbesprechung. Da habe er bereits mit dem Finanzsenator »im Dispute gelegen«, erzählt Staffelt. Pieroth müsse endlich Daten für eine mittelfristige Finanzplanung vorlegen, müsse deutlich machen, welche Sparquote und welche zusätzlichen Einnahmen die Stadt in den nächsten Jahren brauche. Wenn Pieroth jetzt nicht die Notwendigkeit von Einsparungen deutlich mache, sei es zu spät, ergänzen SPD-Finanzexperten. Im nächsten Jahr — ein Jahr nach der vollzogenen Einheit — sei die Erinnerung bereits verblaßt, daß man mit dem Osten »teilen« müsse.
Staffelt treibt die Sorge, daß auf seiner Partei das undankbare Geschäft hängen bleibe, Einsparvorschläge zu machen, während sich die CDU »mehr oder weniger großbürgerlich zurücklehnt«. Irgendwann, so der Fraktionschef, »stehen wir dann alle mit dem Rücken zur Wand«. Die Sozialdemokraten denken mit Bangen an den wachsenden Schuldenberg, der in den nächsten Jahren jede finanzpolitische Manövrierfähigkeit zu ersticken drohe. Nachdem Bonn die von Pieroth geforderten 2,3 Milliarden Mark verweigert hat, wächst schon in diesem Jahr die bisher eingeplante Rekordschuldensumme von 3,9 Milliarden Mark um weitere 2,3 Milliarden. Und dafür muß die Stadt zahlen. Schon für die bisher eingeplanten Schulden in Höhe von 3,9 Milliarden werden nach Pieroths eigenen Angaben allein im nächsten Jahr 640 Millionen Mark für Zinsen und Tilgung fällig.
Das ist ungefähr dieselbe Summe, die eine — von Pieroth abgelehnte — Erhöhung der Gewerbesteuer auf den in Westdeutschland üblichen Satz einbringen würde. Da das Haushaltsloch im nächsten Jahr aller Voraussicht nach weiter steigen wird, wird auch der Schuldenberg nicht schrumpfen, sondern rapide weiterwachsen — und mit den Folgekosten für Zins und Tilgung einen steigenden Anteil der Ausgaben absorbieren.
Zwar hat Pieroth bereits öffentlich eine Verfassungsklage gegen Bonn angedroht, um die Bundesregierung auf diesem Weg zu mehr Großzügigkeit zu zwingen. Doch das, so Arnold Krause von der Fraktion Bündnis 90/Grüne, sei nur »heiße Luft«. Krauses Fraktion hat ein Rechtsgutachten vorgelegt, das einer Berliner Klage gegen Bonn kaum Chancen einräumt. Pieroth konnte diesem Expertenurteil nichts entgegenhalten: Er hatte nämlich die Klagemöglichkeit vor seiner öffentlichen Androhung gar nicht geprüft. hmt
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