Berlin braucht ein Wissenschaftsforum

■ Massenhafte Stellenausschreibungen an der Humboldt-Universität werden heftig kritisiert/ FU beklagt das Fehlen inhaltlicher Konzepte für die HUB-Fachbereiche und die Hochschullandschaft Berlins/ Öffentliche Diskussion gefordert

Berlin. Das Berufungskarussell an der Humboldt-Universität beginnt sich zu drehen. Doch kaum sind die ersten freien Plätze bekannt gegeben, gibt es auch schon ein riesiges Gezänk um die im FU-Jargon als »Großberufungsaktion« titulierten 50 Ausschreibungen für C4- und C3-Professuren.

Hintergrund des Streites ist, daß die vom Wissenschaftssenator Manfred Erhardt (CDU) eingesetzten Planungsbeauftragten für die fünf abgewickelten Fachbereiche begonnen haben, diese neu aufzubauen. Alles muß in relativ kurzer Zeit geschehen, da die Humboldt-Universität zum kommenden Wintersemester neu immatrikulieren und das Studium ohne Unterbrechung fortsetzen will. Die Ausschreibung der Stellen ist logische Folge der Abwicklung. Sämtliche Mitarbeiter mit befristeten Arbeitsverträgen sitzen in der Warteschleife und müssen mit ihrer Entlassung rechnen.

Vor allem die große Zahl von ausgeschriebenen Lehrstühlen rief jetzt etliche FU-Wissenschaftler auf den Plan. Befürchtungen werden laut, daß man damit, so der FU-Historiker Henning Köhler, »der Freien Universität das Wasser abgraben wird«, weil diese nicht in die Aufbauarbeit miteinbezogen ist. Für den Fachbereich Geschichte zum Beispiel handle es sich um Lehrstühle, die »nicht einmal eine Basisausstattung garantierten«. Dafür gäbe es Lehrstuhlausschreibungen für »Preußische Geschichte« und »Wissenschaftsgeschichte«. »Das ist das Feinste vom Feinsten«, moniert Köhler, der vor kurzem noch einen Lehrauftrag an der HUB hatte. Es würden Professoren berufen, ohne die fehlende Infrastruktur wie Arbeitsräume und Bibliotheken zu berücksichtigen. Nicht einmal die Zahl der Studenten sei genau bekannt, klagt Köhler.

Stellenauschreibung erfolgt ohne Konzepte

Ähnliche Beschwerden kommen aus dem FU-Fachbreich Erziehungswissenschaften. Axel Gehrmann befürchtet, daß auf diesem Weg eine Art »Stadtschloß« entstehe, »mit einer teuren Hülle, aber innen ist es hohl«. An solch einer Universität würde sich zwar nichts mehr regen, aber gegenüber dem künftigen Kanzleramtssitz, so Gehrmann, mache sich ein solches Repräsentativstück sicher nicht schlecht. Darüber hinaus dringt auch versteckte Kritik an der fachlichen Qualität der als »angesehene Wissenschaftler« gepriesenen Planungsbeauftragten durch. Im »größten Fachbereich Europas für Erziehungswissenschaften« habe man den Namen von Professor Thies aus Heidelberg jedenfalls noch nicht vernommen.

Außerdem bezweifeln FU-Wissenschaftler, daß in so kurzer Zeit tatsächlich niveauvolle Berufungen stattfinden könnten. Allein für die 12 Stellen im Fachbereich Geschichte soll es 390 Bewerbungen gegeben haben, sagt Köhler. Auch an der Humboldt-Universität selbst ahnt man, daß viele Lehrstühle bis Oktober nicht zu besetzen seien. Rektor Heinrich Fink meint, er sei »ins Grübeln gekommen«, als er erfuhr, wie lange Berufungsverfahren im Westen gewöhnlich dauern würden. Doch auf das Vorgehen der Planungsbeauftragten hätte er keinen Einfluß. Diese haben zwar ihre Vorstellungen über die künftige Stellenstruktur dem Akademischen Senat vorgelegt, aber über ein konkretes inhaltliches Konzept wurde bisher nicht gesprochen.

Auch Bert Flemming, HUB-Wissenschaftler und hochschulpolitischer Sprecher der SPD, sieht die »Planungsbeauftragten allein agieren«. In den vom Senator eingesetzten Struktur- und Berufungskommissionen zum Neuaufbau der Fachbereiche arbeiten keine Ost-Professoren mit. Sie haben, wie es das Hochschulergänzungsgesetz vorsieht (die taz berichtete) keine Entscheidungsrechte, wie sie westlichen Professoren zugestanden werden. Es bestehe die Gefahr, sagt Flemming, daß die Planungsbeauftragten sehr stark das Profil der künftigen Fachbereiche, egal in welche Richtung, bestimmen könnten. Die Rede ist inzwischen von alten oder neuen, manchmal sogar von altneuen Seilschaften.

Solche Bedenken äußern fast alle betroffenen Seiten. Selbst die Landeshochschulstrukturkommission bedauert, daß an der Humboldt-Universität Professuren ausgeschrieben worden seien, bevor ein inhaltliches Konzept vorläge. Daß die Kommission in dieser Debatte nicht draußen bleiben will und kann, ist verständlich. Schließlich soll sie neben den Standortproblemen einzelner Fächer, darunter Veterinärwissenschaften, Lebensmitteltechnologie oder Psychologie, und der Eingliederung von Akademieinstituten der Ex-DDR einen Hochschulentwicklungsplan für ganz Berlin diskutieren.

Streit um Hochschul- Strukturkommission

Aber so, wie die Landeshochschulstrukturkommission zusammengesetzt ist, wird sie vor allem an den Westberliner Hochschulen nicht akzeptiert. Nicht einer ihrer Vertreter sitzt in diesem Gremium, obwohl es auch um deren Zukunft geht. Dafür käme der größte Teil der Kommissionsmitglieder aus Baden-Württemberg, lautet der Vorwurf, wie im übrigen auch der Wissenschaftssenator. Keineswegs handele es sich nur um verletzte Eitelkeiten der Berliner Wissenschaftler, sondern vielmehr um das legitime Mitspracherecht der Hochschulen in diesem Planungsprozeß. Zudem befürchtet man seitens der Hochschulen, daß die eigenen Reformprozesse wie zum Beispiel an der FU entwertet würden, da nicht absehbar sei, wie diese in die Arbeit der Kommission einfließen sollen.

Senator Erhardt kann offensichtlich mit dieser Kritik leben. Er begründet die Zusammensetzung wie immer damit, daß er sich streng an die Empfehlungen des Wissenschaftsrates gehalten hätte. Dieses Expertengremium habe als reine Sachverständigenkommission lediglich Empfehlungen zu geben. Die Entscheidungen würden im Senat und im Parlament fallen. Auf Vertreter aus den Universitäten oder bestimmten Mitgliedergruppen habe man bewußt verzichtet, so der Senator, um die Handlungsfreiheit und Beweglichkeit der Kommission zu gewährleisten.

Dagegen regte sich als erstes die Opposition. Bündnis 90 brachte den Vorschlag zu einem Hochschul-Beirat zur Landeshochschulstrukturkommission ein. Regierungspartner SPD, die PDS und die Gewerkschaft schlossen sich an. Doch in dem derzeitigen Berliner Gremien-Dschungel soll nun der einen empfehlenden Kommission die nächste empfehlende Kommission zur Seite gesetzt werden. Entscheidende Veränderung bringt das letztlich kaum. Der Senator hätte weiterhin relativ freie Hand.

Wissenschaftsforum für die Hauptstadt notwendig

Die Forderung müßte deutlich konsequenter lauten. Wenn es bei ähnlich brisanten Themen in dieser Stadt möglich ist, diese öffentlich zu diskutieren, sollte es beim Thema einer künftigen Gesamtberliner Hochschullandschaft sogar nötig sein. Denn damit sehen sich nicht nur 150.000 Studenten konfrontiert, sondern auch Zigtausende Beschäftigte.

Ein Berliner Wissenschaftsforum könnte viele der bisher ungeklärten Probleme aufgreifen und die zerstrittenen Parteien an einen Tisch bringen. Alle Überlegungen zur Zukunft der Universitäten würden endlich die einzelnen Studierstübchen verlassen und die Öffentlichkeit erreichen, der man ein entsprechendes Interesse sicher nicht absprechen kann. Konzeptionspapiere liegen an allen Universitäten, mehr oder minder ausgereift, vor. Senator Erhardt hat anscheinend hierzu ebenfalls Vorstellungen. Wenn man beginnen würde, diese über die Grenzen des eigenen Hauses hinaus gemeinsam zu diskutieren, könnte nicht zuletzt der Sand aus dem Getriebe des Berufungskarussels an der Humboldt-Universität gepustet werden. Anja Baum