: Theaterimperium
■ Matthias Langhoff geht voraussichtlich ans BE
Im Oktober 1990 wurde das Berliner Ensemble auf Betreiben von Giorgio Strehler in die Union der Europäischen Theater aufgenommen. Aus der Ferne betrachtet scheint das Berliner Ensemble, 1949 von Bertolt Brecht und Helene Weigel gegründet und seit 1954 im Ostberliner Theater am Schiffbauerdamm untergebracht, nach wie vor einen tadellosen Ruf zu genießen. Auch Peter Zadek empörte sich kürzlich über die Abberufung des Intendanten Manfred Wekwerth. Zugegebenerweise ist die durch Berlins Kultursenator betriebene Absetzung von oben nicht die feine Art. Feiner wäre es sicherlich gewesen, das ehemalige ZK-Mitglied und Präsident der Akademie der Künste wäre ganz von selber zurückgetreten.
Das Berliner Ensemble ist ein Modelltheater, ein Traditionstheater, das in aufrecht-epischer Erzählhaltung voranschritt und in dieser Pose irgendwann erstarrt ist. Aber wann? Mit dem Tod Brechts 1956? Helene Weigel starb 1961, nach ihr übernahm Ruth Berghaus die Leitung des Hauses. Bis 1977, als der ehemalige Chefregisseur Wekwerth ans Berliner Ensemble zurückkehrte. Werkwerth gehört — wie Benno Besson, Egon Monk, Peter Palitzsch und Carl M. Weber — zu den Brecht-Meisterschülern; er war der Bravste, der einzige, der blieb.
In den Folgejahren kamen und gingen andere Regisseure wie B.K. Tragelehn, Alexander Lang und das Regieduo Manfred Karge/ Matthias Langhoff. Regisseursnamen, die auch heute noch — nach dem Motto: eine gute Kinderstube schadet nie — mit dem Haus in Beziehung gesetzt werden. Einer von ihnen, Matthias Langhoff, soll neuer Leiter des Berliner Ensembles werden. Noch arbeitet er in der französischsprachigen Schweiz, wo er seit 1989 Leiter des Theaters in Lausanne war. Er wollte dieses Amt ohnehin zum 1. Juni dieses Jahres aufgeben, insofern ist der 1941 gebürtige Schweizer, Sohn des Emigranten Wolfgang Langhoff, frei und disponibel. Matthias Langhoff, der gemeinsam mit Manfred Karge vom Berliner Ensemble an die Ostberliner Volksbühne und später dann in den Westen — zum Beispiel nach Bochum — ging, gastierte regelmäßig mit seiner Lausanner Truppe in Paris. Vor zwei Jahren wurde er zum Festival in Avignon eingeladen, wo er im Jahr der Revolutionsfeierlichkeiten Heiner Müllers Der Auftrag und Arthur Schnizlers Der grüne Kakdu als Farcen ineinander setzte. Weiße Schauspieler, schwarz geschminkt, spielten die Sklaven der Müllerschen Kolonialgesellschaft, die anschließend als Adelige Schnitzlers Schmuddelkabarett Der grüne Kakadu aufsuchen, um sich dort gemein zu machen und beschimpfen zu lassen. Die Herren von einst — die schwarzen Schafe von heute.
Matthias Langhoff wird frühestens 1992 die Leitung des Theaters übernehmen, bis dahin werden der bisherige Verwaltungsleiter René Serge Mund, der Regisseur Fritz Marquardt und die Schauspielerin Carmen-Maja Antoni, die zugleich Personalratsvorsitzende ist, gemeinsam die Verwaltung des Hauses übernehmen. Gespräche zwischen allen Beteiligten im Laufe dieser Woche müssen Roloff-Momins Vorschlag allerdings erst noch festschreiben.
Matthias ist der jüngere Bruder von Thomas Langhoff, der wiederum ab Herbst die Leitung des Deutschen Theaters in Berlin übernehmen soll. Keine schlechte Entscheidung und in Bezug auf den Jüngeren auch eine kluge, da Matthias Langhoff möglicherweise einen Kompromißkandidaten für die Brechterben darstellt, die sich sicherlich keinen von aller Tradition unbeschwerten Westimport an die Spitze des Hauses beziehungsweise vor die Nase setzen lassen würden.
Die Brechttochter Barbara ist mit dem Schauspieler Eckehard Schall verheiratet. Diese Verbindung nutzten die Brechterben in der Vergangenheit weidlich, um die Aufführungspolitik — künstlerische Konzeption bis hin zur Rollenbesetzung — des Hauses mitzubestimmen. Notfalls, so hat Barbara Brecht-Schall in einem SFB- Interview angekündigt, ließe sich auch ein Berliner Ensemble ohne Brecht vorstellen. Eine vernünftige Antwort darauf, wie man mit dem Autor Brecht und seiner Methode in Zukunft auf dem Theater verfahren kann, ohne ihn weiter zu mumifizieren, ist das nicht. Seine früheren Eleven geben, wenn auch individuell verschiedene, so doch immerhin lebhafte und lebendige Antworten. Logisch ist es, einen von ihnen an das Berliner Ensemble zurückzuholen und die dialektische Tradition des Theaters an Ort und Stelle fortzuführen. Die Brechtrenaissance kommt bestimmt, ob am Berliner Ensemble oder anderswo. sabse
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen