GASTKOMMENTAR: Ende einer Maskerade
■ Zur sowjetisch-amerikanischen Annäherung bei der konventionellen Abrüstung
Eine Komplizenschaft der Vernunft darf gefeiert werden. Die Außenminister Baker und Bessmertnych, in der Golfregion nicht vom Diplomatenglück verfolgt, haben in Lissabon einen Streit beendet, der von vornherein lachhaft war.
Da beide Großmächte von dem Vertrag über konventionelle Abrüstung in Europa erheblich profitieren werden, dürfte die Ratifizierung nicht an dem Trick einiger Sowjetmilitärs scheitern, die den ramponierten Zustand ihrer einst so ruhmreichen Streitkräfte immer noch verdecken möchten. Die Kostümierung von vier Marine-Infanterie-Regimentern als klassische Matrosen mit lustigen Bändern an den blauen Mützen allein zu dem Zweck, dieses Truppenkontingent aus dem Wirkungsbereich des Pariser VKSE-Vertrages herauszumogeln, war ein eher kabarettistischer Einfall, ein schwacher obendrein.
Wenn in dieser Woche sowjetische und amerikanische Fachleute „letzte technische Einzelheiten“ besprochen haben und — ein wirklicher Meilenstein in der Geschichte der Abrüstungsbemühungen — verabredet ist, daß sowjetische Schützenpanzer im militärischen Personennahverkehr weniger Infanteristen befördern können als bisher, dann ist das Gelände auch für einen qualitativen Durchbruch bei den seit Jahr und Tag zähflüssigen Genfer Verhandlungen über die Begrenzung strategischer Waffen geebnet. Auch wenn der START- Vertrag bis zu einem Treffen zwischen Bush und Gorbatschow Ende dieses Monats noch nicht „unterschriftsreif“ sein sollte, stehen die Chancen für ein Rahmenabkommen über die Begrenzung der schlimmsten unter den nuklearen Vernichtungswaffen besser als je zuvor.
Der Verzicht auf die Maskerade bei VKSE hat Gorbatschow jetzt das Ticket zum Londoner Wirtschaftsgipfel gesichert. Wenn er stark genug ist, sich über die Bedenken seiner Marschälle gegen die von den Amerikanern geforderten Verifikations- Prozeduren beim START-Abkommen hinwegzusetzen, wird ihm Bush, von seinem mehr und mehr an Statur gewinnenden Außenminister gedrängt, den Status als Führer einer Immer-noch-Weltmacht ehrenhalber einräumen.
Die Komplizenschaft der zwei Supermächte, viele Male Alptraum der Europäer in den Jahren des Kalten Krieges, kann etwas Gutes gebären. Nicht gleich eine „partnership in leadership“, aber ein abrüstungspolitisches „Joint-venture“, von dem, idealiter, positive Impulse für die Kooperation auf anderen Feldern ausgehen werden. Die Europäer jedenfalls können leichter atmen, wenn Bush, statt dem Rat konservativer Ideologen zu folgen und die „neue Weltordnung“ im Alleingang anzusteuern, einem schwachen Gorbatschow die Hand reicht, damit dieser von neu gewonnener Stärke den richtigen Gebrauch macht. Klaus Bölling
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