INTERVIEW
: „Afrika erlebt eine Zeit der Wirren“

■ Ugandas Präsident Yoweri Museveni über das Verhältnis zwischen Afrika und Europa

Yoweri Museveni, dessen Amtsperiode als Präsident der „Organisation Afrikanische Einheit“ (OAU) jetzt abläuft, ergriff 1985 mit seiner Guerillaarmee „Nationale Widerstandsarmee“ (NRA) in Uganda die Macht.

taz: Das Afrika-Bild in unseren Medien wird von Hunger und Elend geprägt. Ist dies Afrikas Schicksal? Ist Afrika ein verlorener Kontinent?

Museveni: Auf keinen Fall. Sicher — Afrika hat eine Menge Probleme. Aber viele dieser Probleme haben wir geerbt. Es stimmt, daß die afrikanischen Führer von heute sich nicht genug angestrengt haben, um diese ererbten Schwierigkeiten zu meistern. Wir hätten mehr tun können — zum Beispiel eine Wirtschaftszone bilden, in der wir unsere Rohstoffe selbst verarbeiten, unsere eigenen Märkte versorgen und den Überschuß exportieren. Das haben wir bis jetzt nicht geschafft. Aber die Schuld trifft uns Afrikaner nicht allein. Denn wir hatten ja nicht die Macht, die Wirtschaftsform zu bestimmen. Manche afrikanischen Länder produzieren heute fünf- bis sechsmal mehr Rohstoffe als früher. Doch trotzdem verdienen sie weniger. Je mehr wir arbeiteten, desto weniger bekamen wir. Ist das ein afrikanisches Problem? Nein. Es ist ein menschliches Problem, eine weltweite Ungerechtigkeit.

Eine Hauptursache für Hunger und Elend sind die Bürgerkriege, in Liberia, in Äthiopien und anderswo. Warum hört das nie auf?

Wer trägt die Schuld an diesen Bürgerkriegen? Wer wurde in Afrika von wem an die Macht gespült? Das muß man doch zuerst wissen. Nehmen wir Uganda und Idi Amin. Wer war Idi Amin? Wer hat ihn geschaffen? Biologisch ist er Ugander. Aber wer hat ihn ausgebildet? Wer hat ihn bei der Unabhängigkeit als ranghohen Offizier in der Armee gelassen?

Meinen Sie die Briten?

Ich meine keine bestimmte Gruppe. Aber man muß sich doch fragen, wer für einen solchen Skandal verantwortlich ist. Europäer haben Afrika kolonisiert und Strukturen geschaffen, mit denen wir heute fertig werden müssen.

Ist es nicht zu einfach, zu behaupten, alles Schlechte komme von auswärts?

Ich behaupte nicht, daß alles Schlechte von auswärts komme. Tatsache ist aber, daß der stärkste Einfluß auf Afrika in diesem Jahrhundert nicht afrikanisch, sondern fremd war. Die meiste Zeit in diesem Jahrhundert war Afrika nicht in den Händen der Afrikaner.

Aber was ist mit den Konflikten von heute, in Liberia zum Beispiel oder in Somalia — Konflikte mit eindeutig ethnischem Hintergrund? Haben wir nicht die Bedeutung des Tribalismus, des Stammesdenkens in Afrika unterschätzt?

Tribalismus hat es doch auch in Europa gegeben, auch in Deutschland. Und was hat dann in Deutschland im vergangenen Jahrhundert zur Einheit geführt? Der deutsche Mittelstand hat die Einigungsbewegung getragen. Er fühlte sich eingeschnürt und hatte die Nase voll von der Kleinstaaterei. So hat bei Ihnen die soziale Entwicklung zur politischen Entwicklung geführt. Das Grundproblem Afrikas ist nicht das Stammesdenken, sondern das Fehlen einer industriellen, produktiven Mittelschicht, die Interesse hat am Markt. Wenn ich Autos verkaufen will, kann ich nicht Tribalist sein — wo sollte ich denn meine Ware absetzen? Nein, als Produzent von Autos bin ich an Zusammenarbeit, an Einheit interessiert, und zwar über meine Landesgrenze hinaus.

Wie wollen Sie eine solche Mittelschicht schaffen?

Komme ich gleich drauf. Erstmal die Frage: Wer hat die Entstehung einer afrikanischen Mittelschicht verhindert? Das waren doch nicht die Afrikaner. Das war das internationale System. Nehmen Sie einen Mann, der Kaffee anbaut und fleißig ist. Er baut sich ein schönen Haus, strebt auf in eine Mittelklasse. Aber über Nacht stürzen die Preise für Kaffee ab — und unser Mann stürzt mit den Preisen. Die unkalkulierbaren Preise verhindern den Aufbau eines Mittelstandes. Überall in der Welt ist der Mittelstand das Fundament der Gesellschaft — nur in Afrika fehlt er.

Aber läuft Afrika nicht die Zeit weg?

Jawohl, wir erleben in Afrika eine Zeit der Wirren. Aber manchmal dienen Wirren auch dazu, die Lösung von Problemen voranzutreiben. Manchmal mußt Du eben, wenn Du ein neues Haus bauen willst, erstmal das alte abreißen. Was uns jetzt als Chaos erscheint, ist die Suche nach eigenen Lösungen, nach eigener Identität. Unsere Hauptaufgabe ist es, einen klaren Blick zu gewinnen, ideologischen Ballast abzuwerfen und uns zu fragen: Was sind unsere tatsächlichen Probleme? Sonst sitzen wir in 30 Jahren immer noch da und klagen: oh, es war alles falsch, von Anfang an. Interview: Luc Leysen, Albrecht Reinhardt