: Von der Kunst, ein Auto schonend zu entsorgen
Verschrottungsunternehmen aus dem Ruhrgebiet wollen in das Autorecycling einsteigen/ Auch die Autoindustrie brütet nach Druck aus Bonn über Pilotprojekten / Aufbereitung der meisten Kunststoffanteile ist jedoch schwierig und teuer ■ Von Bettina Markmeyer
Bochum (taz) — Das erste Verbundwerk zur Autoverwertung in Deutschland soll im Ruhrgebiet entstehen und 2.000 Leute beschäftigen. Mit dieser wohlklingenden Meldung ging der „Initiativkreis Ruhrgebiet“ (IR), der Zusammenschluß aller wichtigen Industriellen im Revier, jüngst an die Öffentlichkeit. Noch im Juni will man die Standorte benennen. Im Gespräch sind Gladbeck, Bottrop, Recklinghausen und Dortmund.
„Automobilproduktion rückwärts“ und „sortenreines Recycling“ seien die Ziele des industriellen Großvorhabens, heißt es beim IR in Essen. Und die Revier-Zeitung 'WAZ‘ träumt bereits, wie schön es wäre, wenn „in den Betrieben die Demontage der Autos am Fließband so professionell erfolgen wie die Neuwagen-Montage“. Davon jedoch sind Auto- und Schrottbranche noch weit entfernt. Es werde, so Günther Giffels, Geschäftsführer von Thyssen-Sonnenberg in Duisburg, einem der beiden größten Shredderbetriebe im Revier, „noch Jahre und Jahre dauern, bis das Auto so konzipiert wird, daß es wiederverwertbar ist“.
Günther Giffels ist kein Miesmacher. Seine Firma, in der 800 Altautos täglich durch den Shredder gehen, wird sich, ebenso wie die Hoesch-Konkurrenz in Dortmund, an dem Ruhrgebiets-Projekt beteiligen. Mit der Bayer AG, Heitkamp, der Flachglas AG, der Ruhrkohle, vor allem aber den Großverdienern im Müll-Geschäft, Edelhoff und RWE, sind darüber hinaus auch fast alle Großen vertreten.
In Gang gebracht hat das Vorhaben der Automüll-Lieferant Opel. Im Bochumer Werk des Autokonzerns stellen 19.000 Beschäftigte in drei Schichten täglich 1.500 PKWs her. Bei Opel in Kaiserslautern werden inzwischen bestimmte Produktionsabfälle oder Fehlchargen eingeschmolzen und anteilig für den Guß neuer Kunststoffteile verwendet. Der Kadett-Stoßfänger besteht zur Hälfte aus aufbereiteten Produktionsrückständen, auch Handschuhkästen im Opel Omega sind zur Hälfte aus Altmaterial — betriebsinternes Recycling. Zwar macht Opel seit gut zehn Jahren die eingebauten Kunststoffe kenntlich, so daß sie sich auch aus Altautos sortenrein zurückholen ließen, doch es existiert keine Infrastruktur zur Wiederverwertung, deponieren war bisher stets billiger.
Ob der Zusammenschluß der Revierfirmen mehr als heiße Luft recycelt, ist offen. Das Konzept für die angekündigten 2.000 Beschäftigten hängt noch völlig in der Luft. Gesichert haben sich die selbsternannten „Autoverwerter“ mit ihrer Zusammenarbeit im Ruhrgebiet bislang nur die eingefahrenen Entsorgungswege und eine Deponien- und Müllöfendichte, wie sie sonst in der Bundesrepublik nicht vorkommt. Eine hervorragende Infrastruktur also, die weiter ausgebaut wird und mitten in Europa liegt.
Für die plötzliche Eile bei der Standortentscheidung hat Bundesumweltminister Klaus Töpfer gesorgt: Seine „Zielfestlegung Altautos“ schreibt den Autobauern und -händlern vor, bis Ende 1993 für die Rücknahme und möglichst weitgehende „Wiederverwendung oder stoffliche Verwertung“ von alten Autos zu sorgen. Danach darf verbrannt oder deponiert werden. Vorgaben für die Vermeidung oder Verringerung der Müllmassen enthält die „Zielfestlegung“ nicht. Einzelheiten werden noch zwischen Industrie und Ministerium verhandelt, insbesondere die Frage: wer zahlt?. Denn die Autoindustrie will die ausgedienten Blechkisten nicht — wie Töpfers Entwurf vorsieht — kostenlos zurücknehmen. Vielmehr sollen Autokäufer Demontage und Entsorgung bei der Anschaffung mit einem Aufschlag bezahlen. Derzeit zahlen die Shredderbetriebe.
Die bisherige Form der Autoentsorgung über die Schrottvermarktung rechnet sich nicht mehr. Im Ruhrgebiet beispielsweise kostet das Abkippen einer Tonne Shredder- Rückstände auf der Deponie inzwischen 200 Mark, durchschnittlich 50 Mark pro Karosse. Für den Schrott zahlt das Stahlwerk etwa 150 Mark. Davon gehen die Deponierungs- und Shredderkosten von 90 bis 130 Mark ab, so daß, wie Günther Giffels von Thyssen-Sonnenberg vorrechnet, ein Autoverschrotter froh sein kann, wenn er keine Verluste macht.
Die Autoindustrie wird nicht selbst in Verwertung und Entsorgung einsteigen, sondern Schrott- und Shredderbetriebe beauftragen. Die Berliner Firma Lepkojus, eine Tochter der Alba-Gruppe, die wiederum zu den fünf größten Entsorgern in Deutschland gehört, wollte bereits vor fünf Jahren eine Pilotanlage zur Teildemontage von 7.500 alten Autos pro Jahr bauen, um Wiederverwertung im industriellen Maßstab zu testen. Die Firma beantragte beim Bundesumweltminister eine Investitionsförderung, doch das, so der Prokurist Jürgen Kussert, „paßte da noch nicht in die Zeit“. Drei Jahre ließ das Ministerium den Antrag schmoren und genehmigte erst 1989 mit drei Millionen Mark eine 50prozentige Finanzierung der Investition. Ein Standort, den die Firma nach der Grenzöffnung in Brandenburg ausersehen hatte, wurde von den örtlichen Behörden wieder zurückgezogen, der Baubeginn steht erneut in den Sternen. Kussert sauer: „Wir hätten vorne dran sein können!“ — 500.000 Tonnen Shredder-Schnitzel aus etwa zwei Millionen Personenwagen werden jedes Jahr deponiert: eine Mischung aus Ölen, Säuren, Lacken, Benzinresten, Gummi, Glas, vor allem aber zahllosen verschiedenen Kunststoffsorten.
Die Müllmasse wuchs bis zum heutigen Berg an, weil der Kunststoffanteil in den Autos seit den siebziger Jahren ständig erhöht wurde, von knapp 3 Prozent auf heute 12,5 Prozent. Das sind etwa 100 Kilogramm pro Auto. Eisen und Stahl machen nur noch drei Viertel eines Autowracks aus. In Zukunft darf der hochgiftige Shreddermüll nicht mehr auf normale Deponien.
Erst jetzt, angesichts drohender Pfand- und Rücknahmeverordnungen, reagiert die Autoindustrie mit eigenen Projekten auf den Schrottnotstand. 28 Ex-Arbeitslose zerlegen im ostfriesischen Leer für Europas größten Automobilhersteller Volkswagen (VW) Autowracks in ihre Bestandteile. Einem Tank aus recycelten Kunststoffen gilt die erste Versuchsreihe. Drei Millionen Mark investierte VW (Umsatz im letzten Jahr: 51,5 Milliarden Mark) in das ostfriesische Projekt.
In einem Stuttgarter ADAC-Projekt, in dem Opel sich engagiert, zeigt sich ebenfalls, daß vor allem die wilde Mischung bei den Kunststoffen die Wiederverwertung behindert. Die Altautos, die seit Anfang Februar unter ADAC-Regie bei einem Autoverwerter im schwäbischen Köngen auseinandergenommen werden, gehen nur teilweise demontiert in den Shredder. „Teppichböden“, so der Projektleiter Ronald Scheithauer vom ADAC in München, „und verschiedenste Kunststoffe bleiben drin.“
Zurückgewinnen und verarbeiten lassen sich Polypropylen-Kunststoffe, aus denen beispielsweise Karosserieteile des neuen Opel Calibra oder Batteriegehäuse gemacht sind. Aus diesem Stoff fertigt Opel Innenkotflügel, die bereits in neue PKWs eingebaut werden. Andere Kunststoffe liefert der Köngener Betrieb an verschiedene Firmen im In- und Ausland, wo sie zu Granulat verarbeitet werden. Dann wird getestet, ob sich dieses wiederum für die Herstellung von Stoßstangen, Gehäusen oder anderen Auto-Kunststoffteilen eignet.
Aus Sicherheitsgurten sollen wieder Sicherheitsgurte gemacht werden; daß Glas aussortiert und alle Flüssigkeiten abgesaugt werden, ist selbstverständlich. Die Öle aus Köngen nimmt die „Südöl“ zurück, trennt sie und arbeitet sie auf. Doch für Bremsflüssigkeiten existiert bisher nur eine einzige Wiederaufarbeitungsfirma in England.
Für die meisten Stoffe ist noch keine Verwertung gefunden, und noch, so Projektleiter Scheithauer, „ist die Demontage zu teuer“. Vor diesem Hintergrund darf man gespannt sein, wie die Revier-Firmen ihre Autoverwertung aufziehen werden. Sicher ist nur zweierlei: das Auto-Recycling wird zwar die eine oder andere Deponie entlasten, aber an der Umweltvernichtung durch die fahrenden Blechlawinen ändert sich nichts.
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