: 12 Jahre für die Kronzeugin Albrecht
Im Stammheimer Prozeßbunker folgt der Richter den Forderungen der Bundesanwaltschaft nach 12 Jahren Haft für Susanne Albrecht/ Sie hat gute Chancen, in sechs Jahren entlassen zu werden ■ Aus Stammheim Erwin Single
Die Angeklagte hatte es wohl schon geahnt. Als der 5. Strafsenat gestern den Stammheimer Prozeßbunker betrat, um das Urteil zu verkünden, wirkte Susanne Becker, geborene Albrecht sichtlich gelassen. 12 Jahre Gesamtfreiheitsstrafe verhängten die Richter des Stuttgarter Oberlandesgerichts gegen die RAF-Aussteigerin — als Mittäterin an zwei Kommandoeinheiten beteiligt und des Mordes in Tateinheit mit versuchter Geiselnahme und versuchtem erpresserischen Menschenraub sowie des Mordversuchs in drei Fällen für schuldig befunden. Das Gericht folgte damit dem Antrag der Bundesanwaltschaft aus Karlsruhe, die ebenfalls 12 Jahre Haft für ihre Kronzeugin gefordert hatten.
Das Urteil laute nicht auf lebenslänglich, gab der Vorsitzende Richter Kurt Breucker der Angeklagten auf den Weg, als müsse er sich für das nicht gerade milde Urteil rechtfertigen. Die reumütige Spätheimkehrerin habe sich von ihren Irrtümern distanziert und ihre Gesinnungsgenossen zur Umkehr aufgerufen. Sie besitze gute Chanchen, nach der Hälfte der Strafverbüßung entlassen zu werden, bedachte Breucker gleich die Strafvollstreckungsbehörden mit einem fordernden Hinweis, Susanne Albrecht möglichst bald wieder zu ihrer Familie zurückkehren zu lassen. Akribisch listete das Gericht auf, was der RAF-Abtrünnigen ohne die Kronzeugenregelung gedroht hätte: Lebenslang für den Mord am Bankier Jürgen Ponto (1977) und lebenslang für das nur knapp gescheiterte Bombenattentat auf den damaligen Nato-Oberkommandierenden Alexander Haig und seine Begleiter (1979). In der juristischen Bewertung kehrte dann auch der eisige Stammheimer Tonfall in das Verfahren zurück, in dem alle Beteiligten bislang so freundlich und fast vorsichtig miteinander umgegangen waren. Die begangenen Straftaten seien „zutiefst verachtenswert“ und stünden auf „der niedrigsten Stufe“. „Die RAF befand sich im Krieg, die Aktion Ponto war eine Schlacht im bewaffneten antiimperialistischen Kampf“, so Breucker, ohne die Tatbeteiligung Susanne Albrechts hätte der tödliche Plan so nicht ausgeführt werden können. Sie habe nicht nur die freundschaftlichen Beziehungen zum Opfer „schamlos“ ausgenutzt, um ihre Komplizen ins Haus zu schleusen, sondern sich auch mit dem Tod Pontos abgefunden und mit „bedingtem Tötungsvorsatz“ gehandelt. Den Tötungsversuch Haigs wertete das Gericht als eine „heimtückische, gemeingefährliche und aus niedrigen Beweggründen“ begangene Tat, die mit Wissen der „Mittäterin“ Albrecht geplant und arbeitsteilig durchgeführt worden sei. Susanne Albrecht hatte neben Ausspähungen der Fahrtstrecke den Sprengstoff gemeinsam mit Ralf Friedrich aus Italien beschafft.
Das juristische Hantieren mit dem Kronzeugenrabatt fiel den Richtern nicht leicht: für Erfolge bei der heutigen Terroristenbekämpfung tragen die Aussagen Susanne Albrechts ebensowenig bei wie für die Aufklärung der „Aktion Ponto“. Bei letzerem habe ihr Geständnis „nichts nennenswert Neues“ zu Tage gefördert und rechtfertige allein die Kronzeugenregelung nicht, so Richter Breucker. Breucker konnte sich jedoch einen Seitenhieb auf den durch Albrechts Schilderungen erheblich belasteten Peter-Jürgen Boock nicht verkneifen, der das Kommando zur Villa Pontos gefahren haben soll. Sicher sei, daß Boock, dem Staatsschutz und Gericht stets ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit unterstellt hatten, sich für einen Banküberfall in Zürich 1979 erneut verantworten müsse. Für die Anwendung der Kronzeugenbestimmungen blieb letztlich die Aufklärungshilfe über Tatbeteiligte und Tatbeiträge bei der „Aktion Hengst“ übrig, bei der die Ermittlungsbehörden vor den Aussagen Albrechts und anderer RAF-Aussteiger im dunkeln tappten. Hier habe zwar Werner Lotze „gewichtigere Angaben“ gemacht, die jedoch eine Milderung des Strafmaßes bei Susanne Albrecht nicht ausschlössen. Susanne Albrecht, so Richter Breucker, habe mit ihrer Aussagebereitschaft außerdem anderen RAF-Aussteigern nahegelegt, sich der Justiz zu offenbaren, und mit der Widerlegung der These von den Stammheimer Morden einen „ideologischen Grundpfeiler“ der RAF zum Einsturz gebracht. Die Bundesanwaltschaft hatte in ihrem Plädoyer vehement die Anwendung der umstrittenen Regelung für ihre Kronzeugin verlangt.
Strafmildernd werteten die Richter auch die Biographie der Angeklagten. Sie sei „langsam, aber stetig“ von der Sympathisantenszene über Unterstützerkreise in die Illegalität gelangt, von einem „Hineinschlittern“ könne jedoch „keine Rede“ sein. In der Gruppe selbst blieb sie aber nach Auffassung des Gerichts immer Problemfall und Außenseiterin. Für die „Aktion Ponto“ rekrutiert, habe sie sich nach deren tödlichem Ausgang an die Gruppe geklammert. Wie sie selbst Täterin und Opfer zugleich gewesen sei, habe sie sich für die RAF mehr als „Ballast“ denn als „Gewinn“ erwiesen. Das Bild der „gefährlichsten Terroristin“, das früher gezeichnet wurde, habe sich als falsch erwiesen. „Die Susanne Albrecht von 1991“, so resümierte Richter Breucker die Umkehr der Angeklagten, „ist nicht die Terroristin von 1977“.
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