: Mit falschen Proben ausgetrickst
■ Abfallunternehmer angeklagt/ 2.400 Tonnen Altlösemittel und 745 Tonnen Destillationsrückstände illegal transportiert und gelagert/ Vier Jahre lang Trinkwasser für 200.000 Berliner bedroht
Berlin. Im Giftskandal, bei dem das Trinkwasser von 200.000 Berlinern im Westteil der Stadt über vier Jahre gefährdet gewesen war, zieht die Staatsanwaltschaft Konsequenzen. Ende April hat sie einen 49jährigen Mann angeklagt, der von Anfang 1987 bis November 1990 2.400 Tonnen Lösemittelabfälle und rund 745 Tonnen Destillationsrückstände falsch deklariert und illegal von Westdeutschland nach West-Berlin transportiert haben soll, ließ gestern die Gerichtspressestelle wissen. Der 49jährige Geschäftsführer einer westdeutschen Firma soll das Gift in die Tanks der Firma SAG-Schüttler GmbH nahe dem Wasserwerk Tiefwerder zwischengelagert haben. Die Tanks sollen dafür nicht nur ungeeignet, sondern auch teilweise verrostet gewesen sein. Zur Frage, ob es sich bei dem Angeklagten um Schüttler, den Chef der gleichnamigen »Sonderabfallbeseitigungs- und Altölerfassungsgesellschaft« handelt, wollte die Gerichtspressestelle gestern nicht äußern.
Die u.a. mit Schwermetallen, Dioxinen und Furanen verseuchten Flüssigkeiten hätten jederzeit auslaufen können und wären dann in die Havel geströmt. Das Wasserwerk Tiefwerder hätte zumindest teilweise abgeschaltet werden müssen. Die dort befindlichen Brunnen hätten stark beschädigt werden können, erklärte die Staatsanwaltschaft. Dem Angeschuldigten wird außerdem vorgeworfen, das Land Berlin um rund 300.000 Mark betrogen zu haben. Weil die Destillationsrückstände falsch deklariert worden waren, verzichtete die BSR auf sogenannte Verbrennungszuschläge, mußte dann aber feststellen, daß die 745 Tonnen nicht die von der Firma Schüttler angegebene PCB-Konzentration von 29 ppm (parts per million), sondern etwa 10.000 ppm betrugen. Die BSR vermutete damals, daß die verantwortlichen SAG-Mitarbeiter Probeflaschen vertauscht oder Proben an der falschen Stelle gezogen hätten. SAG-Chef Schüttler hatte sich damit verteidigt, daß seine Mitarbeiter »keine Chemiker« seien.
Sollte der Angeklagte verurteilt werden, muß er bei dem Vorwurf der schweren Umweltgefährdung mit einer Freiheitsstrafe zwischen drei bis fünf Jahren rechnen, erklärte Justizsprecherin Uta Fölster. Günter Schulze von der Umweltpolizei wertete die Anklage der Staatsanwaltschaft als Erfolg. Es sei bei Umweltverbrechen ähnlich wie bei der Wirtschaftskriminalität »ausgesprochen schwer, zu Ermittlungsergebnissen zu kommen«. Falsche Deklarierungen zu entdecken, »ist eine wahre Sisyphusarbeit«.
Die SAG-GmbH und Schüttler selbst waren gestern nicht zu erreichen. Der größte Teil der SAG- GmbH ist inzwischen an die »Lepkojus — Sondermüllrecycling GmbH« verkauft worden. Dirk Wildt
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