: Afrika klagt seine Geschichte ein
■ Die Forderung nach Wiedergutmachung für "Demütigung und Ausbeutung" soll Europa moralisch und wirtschaftlich in die Pflicht nehmen.
Afrika klagt seine Geschichte ein Die Forderung nach Wiedergutmachung für „Demütigung und Ausbeutung“ soll Europa moralisch und wirtschaftlich in die Pflicht nehmen.
Revolutionär mutet die Forderung an, die die „Organisation Afrikanischer Einheit“ (OAU) auf ihrem heute zu Ende gehenden Staatengipfel in Nigerias Hauptstadt Abuja gestellt hat. „Internationale Reparationen für Jahrhunderte der Demütigung und Ausbeutung“, so der Text der zur Verabschiedung anstehenden Resolution, sollten die Staaten Afrikas von der Weltgemeinschaft fordern. Konkret: Die ehemaligen europäischen Kolonialmächte sollen Afrika Wiedergutmachung für die Versklavung von Millionen Schwarzen zahlen. Kommt nun „die lange Nacht der Sklaverei“, wie Benins neuer Präsident Nicephore Soglo es nennt, auf die Tagesordnung der Weltpolitik?
„Wir suchen Christen und Gewürze“, verkündete der Portugiese Vasco da Gama im 15. Jahrhundert auf einer der ersten Expeditionen an die Küste des schwarzen Kontinents. 200 Millionen Menschen, so die UNESCO in ihrer 1966 veröffentlichten Allgemeinen Geschichte der Menschheit, sind dem europäischen Sklavenhandel in Afrika seither zum Opfer gefallen. 40 Millionen davon seien nach Übersee verschifft worden, die anderen seien bei Kriegshandlungen und Razzien in Afrika selbst ums Leben gekommen. Diese Zahlen sind stark umstritten. Französische und amerikanische Forscher gingen bis vor kurzem von weniger als 10 Millionen „exportierter“ Sklaven aus. Die bisher detailliertesten Berechnungen stellte 1985 der Kanadier Patrick Manning auf. Er zählte den Sklaventransport nach Übersee, den innerafrikanischen Sklavenhandel und die Opfer der Deportationen zusammen und errechnete unter Berücksichtigung unerforschter Perioden und Gebiete die Zahl von 35 Millionen Toten.
Die Sklavenhändler, die den schier unersättlichen Bedarf der Bergwerke und Plantagen im neuentdeckten Amerika befriedigten, gingen weniger mit brutaler Gewalt als mit List und Täuschung vor. Mit großzügigen Geschenken wurden einheimische Herrscher dazu überredet, ihre Untertanen zu übergeben. „Das Eisen und der Branntwein“, so der Abt Damenet, der die Senegal- Kompanie begleitete, waren die wichtigsten Handelsgüter. Für Afrikas Küstenvölker war dies insbesondere dann einträglich, wenn sie nicht ihre eigenen Angehörigen verkauften, sondern die anderer Völker. Manche gerieten so zu Zwischenhändlern für die Europäer, besonders an der Atlantikküste Zentralafrikas nördlich des Kongo bis hinauf nach Nigeria. Während die Küstenstriche sich nach außen wandten, flohen im Inneren Afrikas Millionen vor den immer weiter vordringenden Sklavenhändlerbanden.
Davon profitierten wiederum die afrikanischen Partner der Europäer, welche ihren Machtbereich ausdehnten. Das Loango-Reich an der Küste des heutigen Kongo beispielsweise unterwarf Völker des Landesinneren mittels Heiratsallianzen und forderte von ihnen Tribut in Form von Menschen, die dann an europäische Händler weiterverkauft wurden. Der Erlös wurde dazu benutzt, um weitere Menschen für den Eigenbedarf zu kaufen; diese erhielten den Status von „Unfreien“ und wurden allmählich ins herrschende Volk integriert.
Im 19. Jahrhundert wurde der Sklavenhandel verboten — doch die afrikanischen Küstenvölker fuhren mit der Gewinnung von Sklaven aus dem Landesinneren fort und nutzten sie zur Produktion von Rohstoffen, die nun anstelle von Menschen an die Europäer verkauft werden konnten. Nachdem beispielsweise dem Duala- Reich im heutigen Kamerun 1839 der Sklavenhandel verboten wurde, spezialisierte sich dieses Reich auf Palmöl für den Export nach Deutschland. Mitte des 19. Jahrhunderts gab es im heutigen Kamerun mehr „Unfreie“ als Freie. So bildeten sich in West- und Zentralafrika eine Reihe von Staaten, deren Macht auf ihren Verbindungen zu Europa beruhte. Als gegen Ende des Jahrhundertes die europäischen Mächte die direkte politische Macht in Afrika übernahmen, hatte der Außenhandel bereits neue Machtstrukturen und extreme soziale Ungleichheiten geschaffen — auf denen sowohl die Kolonialverwaltung wie auch die neuen unabhängigen Staaten seither aufbauten.
Daß ausgerechnet diese Staaten nun eine an sich berechtigte Wiedergutmachungsforderung an Europa richten, ist somit moralisch fragwürdig, wie der nigerianische Schriftsteller Wole Soyinka anmerkt (siehe unten). Auch der Ursprung dieser Forderung ist hauptsächlich in afrikanischer Machtpolitik zu sehen. Eine Konferenz in Lagos Ende letzten Jahres, an der die Elite Nigerias teilnahm, formulierte erstmals eine Entschädigungsforderung an Europa in Höhe von 25 Milliarden Dollar — als Antwort auf die immense Auslandsverschuldung Schwarzafrikas. Die Idee wurde daraufhin nach Kräften durch den nigerianischen Multimillionär, Pressezar und ITT-Vizepräsidenten Abiola gefördert. Abiola, ein Vertrauter des Präsidenten Babangida, verbreitete die Reparationsidee in seinen Zeitungen. Zu den Unterstützern gehören auch die Staatschefs von Uganda und Simbabwe, Yoweri Museveni und Robert Mugabe.
Die jetzige OAU-Resolution geht auf eine Initiative Babangidas zurück. Eine konkrete Zahl nennt sie nicht. Für die OAU geht es weniger um die Einforderung einer Geldsumme als um ein moralisches Druckmittel gegenüber dem reichen weißen Norden. Da Afrika mit Sklaven und Rohstoffen so entscheidend zur Entwicklung Europas beigetragen hat, so die Überlegung, sei Europa jetzt in der Pflicht, mittels Schuldenerlaß, verstärkter Hilfe und einer Reform des Weltwirtschaftssystems Afrika zu helfen. „Europa sollte die Tatsache anerkennen, daß eine Entschädigung überfällig ist“, meint Everest Ekong von der Zeitschrift 'West Africa‘. Doch wahrscheinlicher ist, daß Europa in der Tradition eines Immanuel Kant verharrt, der seinerzeit die Freiheitsforderungen der Sklaven in Amerika so kommentierte: „Allein kurz um, dieser Kerl war von Kopf bis Fuß schwarz, ein deutlicher Beweis, daß das, was er sagte, dumm war.“ Dominic Johnson
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen