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PORTRAIT:DER AUSSTEIGERIngo von Münch wird wieder ein zerstreuter Professor

■ Der Hamburger FDP-Senator für Kultur und Wissenschaft legt Regierungsämter und Bürgerschaftsmandat nieder

„Das ist jetzt vertraulich, nicht zur Veröffentlichung bestimmt“, diese Ankündung delikater Hintergrundinformation kennt jeder Journalist, der einmal unter vier Augen mit einem Politiker geredet hat. In Hamburg war das in den letzten vier Jahren manchmal anders. Der liberale Stellvertreter des Regierungschefs und Doppelsenator für Kultur und Wissenschaft, Ingo von Münch, ließ besagten Spruch schon einmal vor versammelter Journaille ab, griff sich an den Kopf und erkannte: „Vor der Landespressekonferenz macht man das ja nicht.“ Und dann plauderte er doch munter aus dem Innenleben des Senats.

Diese Highlights im Trott der landespolitischen Berichterstatter gehören seit Dienstag der Vergangenheit an. Der FDP-Spitzenkandidat für die Bürgerschaftswahl zog klare Konsequenzen aus der Wahlschlappe seiner Partei, die jetzt in die Opposition muß. Er legte seine Regierungsämter nieder und verzichtete auch auf sein Bürgerschaftsmandat. Ingo von Münch will ab dem Wintersemester wieder als Staatsrechtsprofessor an der Universität lehren. Ob er sich noch einmal zum Retter der Elb-Liberalen machen läßt und den Immobilienhändler Robert Vogel im Landesvorsitz beerbt, ließ er bislang offen.

Ein abgebrühter Politprofi ist von Münch in den vier Jahren auf der Regierungsbank nicht geworden. Er bewahrte sich das für einen Politiker exotische Image des klugen Naiven mit großen Einsichten, der Probleme hat, wichtige Akten nicht zu verdaddeln. Die Mitarbeiter seiner Behörden hatten ihre Last mit dem ungewöhnlichen Chef. Schon bald nach seinem Amtsantritt begannen sie, von allen Vorlagen Sicherheitskopien zu ziehen, damit der Doppelsenator nicht plötzlich ohne Unterlagen dastand.

Der bei Studenten, Wissenschaftlern und auch in der Kulturszene hochangesehene von Münch wurde schon 1957 FDP-Mitglied. Zu politischer Größe gelangte er aber erst 1985, als er zum Vorsitzenden der glücklosen Hamburger Liberalen gewählt wurde. Mit ihm als Spitzenkandidaten gelang der FDP 1987 nach neun Jahren Rathausabstinenz der Wiedereinzug in das Landesparlament. In seiner Amtszeit wurde der Kulturetat um 20 Prozent vergrößert. Das hätte kein Sozialdemokrat geschafft, darüber sind sich Kenner der Hamburger Szene einig.

Als Stellvertreter des Ersten Bürgermeisters Henning Voscherau (SPD) wurde Ingo von Münch zum personifizierten Symbol sozialliberaler Landespolitik. Das Verhältnis der beiden Bürgermeister war voller Spannungen, was nur bedingt mit den unterschiedlichen Parteizugehörigkeiten zu tun hatte, vielmehr mit dem Unterschied zweier Charaktere. Der Politprofi und gewiefte Taktiker Voscherau lebt für ein übergeordnetes Ziel: die Einkehr in die Geschichtsbücher. Der meist still vergnügte Ingo von Münch zeigte seinem Partner alltäglich, daß es im Leben viel wichtigeres gibt. Jürgen Oetting

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