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Opposition kritisiert Staatsverschuldung

■ Streit um Steuererhöhung und Verschuldung in der ersten gesamtdeutschen Haushalts-Diskussion/ Auch die Union spricht von Kreditaufnahme an der Grenze des Vertretbaren

Bonn (ap/dpa/taz) — Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) hat den neuen Bundesländern für 1992 zusätzliche Finanzspritzen zur Entlastung ihrer öffentlichen Haushalte zugesagt. Dazu gehört nicht nur die geplante Umschichtung von Mitteln aus dem Strukturhilfefonds des Bundes von jährlich 2,5 Milliarden Mark von den alten auf die neuen Länder. Wegen der rückläufigen Zuwendungen aus dem Fonds Deutsche Einheit kündigte Waigel auch „weitere Maßnahmen“ an. Das war am Mittwoch bei den Schlußberatungen des Bundestages über den ersten gesamtdeutschen Haushalt.

Am zweiten Tag der Haushaltsdebatte wurde die Bundesregierung von den Oppositionsparteien besonders wegen der Art der Steuererhöhungen und des nur schleppenden Aufbaus in Ostdeutschland angegriffen. Einmütigkeit zwischen Parlamentariern aller Parteien gab es darüber, daß die Nettokreditaufnahme des Bundes in den nächsten Jahren wieder gesenkt werden müsse.

Die SPD-Finanzsprecherin Ingrid Matthäus-Maier verurteilte besonders die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer zum 1. Januar 1993 als Griff „in die Taschen der kleinen Leute“. Waigel bekräftigte dagegen die Absicht, 1993 die Mehrwertsteuer auch unabhängig von dem in der EG jetzt angestrebten Mindestsatz von 15 Prozent zu erhöhen.

Frau Matthäus-Maier bezifferte die Neuverschuldung des Gesamtstaates auf 200 Milliarden Mark und forderte, das Ausufern der Staatsverschuldung müsse gestoppt werden. Die Rekordverschuldung halte die Zinsen hoch und behindere die Investitionen in neue Arbeitsplätze und den Wohnungsbau.

Matthäus-Maier: „Der Haushalt zeigt: Diese Regierung ist wirtschaftspolitisch inkompetent und finanzpolitisch unsolide.“ Sie hielt der Koalition vor, ihr sei in der Wirtschaftspolitik Ideologie wichtiger als kompetente Problemlösungen. Die Regierung habe falsche Erwartungen geweckt und genährt und sich aus wahltaktischen Gründen für die „Steuerlüge“ entschieden. Sie fügte hinzu: „Die Steuerlüge ist der Anfang vom Ende dieser Bundesregierung.“

Finanzminister Waigel erklärte dazu, dieser Vorwurf werde auch durch Wiederholung nicht richtiger. Bis zum Januar habe die Koalition keine Steuererhöhung geplant. Sie sei nur erfolgt, weil mit dem Golfkrieg neue Lasten auf Deutschland zugekommen seien. Es handle sich um ein „solidarisches Opfer“, das alle Deutschen tragen könnten.

Der CSU-Vorsitzende bezeichnete den Bundeshaushalt 1991 als überzeugende Antwort auf die Herausforderungen der deutschen Einheit und der internationalen Verpflichtungen. Der „Haushalt der Einheit“ habe einen geringeren Anteil an Kreditfinanzierung als beispielsweise der Etat 1975, als die Folgen der Ölkrise hätten bewältigt werden müssen. Außerdem sei die Nettokreditaufnahme fast vollständig durch die Investitionsausgaben gedeckt. Das beweise, wie stabil die Finanzpolitik sei.

Waigel bekannte sich zur Mitverantwortung für die Finanzen der neuen Länder. Zwar gingen die Zuwendungen aus dem Fonds „Deutsche Einheit“ in den kommenden Jahren zurück. Es werde aber über eine Verbesserung der Strukturhilfe diskutiert. Der Bund sei auch bereit, weitere Maßnahmen zu prüfen, um die finanzielle Situation der neuen Länder zu stabilisieren.

Der finanzpolitische Sprecher der Union, Borchert, beteuerte, die „stark expansiv orientierte Finanzpolitik“ bedeute keine Abkehr von der seit 1982 erfolgreich praktizierten soliden Finanzpolitik.

Niemand sollte aber übersehen, daß die hohe Kreditfinanzierung 1991 nur vorübergehender Natur sein dürfe. „Mittelfristig müssen wir strenge Ausgabendisziplin walten lassen und die Nettokreditaufnahme deutlich verringern“. Um dieses Ziel zu erreichen, müsse man an vielen Stellen von liebgewonnenen Finanzhilfen und Steuervergünstigungen Abschied nehmen.

Borchert betonte, daß die Wirtschaft in den neuen Bundesländern durch große Strukturanpassungsprobleme gekennzeichnet sei. Doch die Umstellung der Planwirtschaft auf soziale Marktwirtschaft sei eine ungeheure und geschichtlich einmalige Aufgabe.

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