ZUHAUSE DOCH FREMD: „Jugoslawe ist jetzt ein Schimpfwort“
■ Die Kluft zwischen Serben und Bosniern, zwischen Slowenen und Kosovo-Albanern wird nicht allein in Jugoslawien größer. Auch unter den Auswanderern in Deutschland wachsen die Animositäten zwischen Angehörigen verschiedener Nationalitäten. Man isoliert sich zunehmend voneinander: eigener Sprachunterricht für Kroaten, die Bosnier wollen eine Koranschule, jedes der Völker hat mittlerweile seinen eigenen Kulturverein. Da man aber oft untereinander geheiratet hat, gehen die Konflikte mitten durch die Famiien. us Berlin berichtet ANDREA BÖHM
Es war die 89. Minute, als Klaus Augenthaler mit seinem Eigentor für ein paar Stunden wieder ein jugoslawisches Nationalgefühl stiftete. Vom Fuß des Bayern-Libero prallte der Ball ab und segelte in hohem Bogen Richtung eigenes Tor über Torhüter Aumann hinweg, der das Leder nur noch mit kläglicher Geste aus dem Netz fischen konnte. Zwei Minuten später der Abpfiff – „Roter Stern Belgrad“ stand im Finale des Fußball-Europacups der Landesmeister. 76.000 Jugoslawen tobten im Belgrader Stadion Marakana, und an die 20.000 dürften in ihren Berliner Wohnungen gejubelt haben.
Dank Klaus Augenthaler hing in einer von ihnen, bei Evka (45) und ihrem Mann Slobodan (47), der Haussegen wieder gerade. Noch kurz vor Spielbeginn hatte die Seele der gebürtigen Kroatin aus Bosnien gekocht, als der Intimfeind aller Kroaten, der serbische Präsident Milosevic, seine „Roten Sterne“ noch einmal mit den Worten angefeuert hatte: „Wir brauchen einen großen Erfolg.“ Wasser auf die Mühlen von Evkas serbischem Ehegatten, der aus der Nähe von Belgrad stammt. Doch nach dem Sieg waren sie für ein paar Stunden wieder eine Nation: „Jugoslavia“.
Nationalismus, stimuliert durch Alkohol, ergibt ein explosives Gemisch
Fast 20 Jahre sind die beiden verheiratet. Seit ein, zwei Jahren nun, so genau weiß sie das nicht mehr, schimpft ihr Mann, wenn sie von Familienbesuchen zurückkommt und seiner Meinung nach „zu kroatisch daherredet“. Von ihren kroatischen Bekannten in Berlin wiederum wird sie schief angesehen, weil ihre beiden Kinder serbisch-orthodox erzogen worden sind – und nicht katholisch, wie es sich für „gute Kroaten“ gehört. Ihr Mann, der anfangs noch mit der nationalistischen Politik des serbischen Präsidenten Milosevic sympathisierte, ist inzwischen zum Anhänger des nicht minder nationalistischen Oppositionellen Vuk Draskovic geworden. Nationalismus, stimuliert durch Alkohol, ist ein explosives Gemisch. Wenn Slobodan getrunken hat, dann, sagt Evka, „bleibe ich besser still“.
Der Nationalitätenkonflikt in Jugoslawien hat sich längst auch auf die jugoslawische Immigrantengemeinde in Berlin übertragen. Sie existiert faktisch nicht mehr. „Vor zwei Jahren fing das an“, sagt Djuro Skoric, Sozialarbeiter im Verein „Edvard Kardelj“, einstmals ein Club für alle Jugoslawen. „Da blieben plötzlich die Serben weg.“ Gleich einer Kettenreaktion gründeten sich neue Vereine – streng nach Volkszugehörigkeit getrennt, aber quer durch alle Schichten. So waren zum Beispiel serbische Intellektuelle an der Entstehung des serbisch-deutschen Kulturvereins „Vuk Karadic/Gebrüder Grimm“ – benannt nach dem serbischen und den beiden deutschen Märchenerzählern – beteiligt, haben sich aber inzwischen aufgrund der nationalistischen Schlagseite des Vereins wieder losgesagt. Die Pflege serbischer Folklore wird hier mit durchaus chauvinistischen Parolen eines puren Serbentums durchsetzt.
Die Kroaten haben sich in ihre gleichnamige Gemeinde zurückgezogen, kämpfen bei der Schulverwaltung für eine rein kroatische Schule für ihre Kinder. Es gibt einen slowenischen, einen mazedonischen Kulturverein sowie einen albanischen Club. Und „weil die Kroaten jetzt ihren eigenen Sprachunterricht haben“, so die Begründung, haben sich unter dem lyrischen Namen „Behar“ – zu deutsch „Knospen“ – nun die jugoslawischen Muslime aus Bosnien zusammengeschlossen. Sie fordern muslimische Lehrer für ihre Kinder und irgendwann auch eine eigene, eine Koranschule. Da zerbrechen Welten für so manchen, der bisher glaubte, daß Nationalismus heilbar ist: Zum Beispiel jener Sprachlehrer in Berlin, der bislang jugoslawische Kinder im Zusatzunterricht ihre Muttersprache lehrte. Als gebürtiger Serbe ist er friedlich mit Kroaten und Muslimen in Bosnien aufgewachsen, hat ihre Feste und Feiertage ebenso gefeiert wie die serbischen, ließ sich sogar beschneiden, weil sich seine muslimischen Freunde eben auch beschneiden ließen – und nun soll er die Kinder der Bosnier nicht mehr unterrichten dürfen.
Für multikulturelle Vielfalt hält das keiner mehr. „Die bekriegen sich zwar nicht wie in Jugoslawien“, konstatiert nüchtern ein Mitarbeiter der Berliner Ausländerbeauftragten, „aber die Konflikte in Jugoslawien schlagen hier klar durch.“ Direkte Konfrontationen hat es bislang tatsächlich nicht gegeben – und das vor allem aus einem Grund: Man geht sich aus dem Weg. Es herrscht eisiges Schweigen, „man hat sich“, so ein Mitglied der kroatischen Gemeinde, „völlig voneinander abgekapselt“. Die nationalistischen Risse ziehen sich bis in die Familien. In der jugoslawischen Provinz Woiwodina zum Beispiel sind 30 Prozent aller Ehen gemischt, in Kroatien 20 Prozent. Wenn Jugoslawien auseinanderfällt, so Zlatomir Popovic, Soziologe in Berlin und gebürtiger Serbe, dann gehe die Trennung mitten durch die Ehebetten – ob in Belgrad oder Berlin. „Dabei“, sagt Evka wütend und hilflos zugleich, „sind doch die Familen nicht schuld an der Politik, die die da in Jugoslawien machen.“
„Die Nationalisten können ihre Agressionen wenigstens loswerden“
Als Evka und Slobodan sich damals, 1969, bei Siemens in Berlin kennenlernten, interessierte sich niemand für die Volkszugehörigkeit des anderen. Man war Jugoslawe oder Jugoslawin – das reichte hin zur Bestimmung der nationalen Identität. Nicht wenige schöpften daraus ihren Stolz, der lebenswichtig werden konnte, wenn man in der Fremde nichts weiter ist als ein „Gastarbeiter“.
Vor allem, wenn die Fremde auch noch Deutschland heißt. „Wir sind doch alle in dem Stolz aufgewachsen, im Krieg die Deutschen besiegt zu haben. Und dann mußten wir bei ihnen arbeiten gehen“, sagt Verica Pancev, die mit 19 Jahren nach Berlin kam. Jahrzehntelang hatte die offizielle Geschichtsschreibung den Vielvölkerstaat auch durch den Mythos vom antifaschistischen Partisanenvolk, dem alle Jugoslawen angehörten, zusammengehalten – ein Mythos, der gerade auch den Immigranten in Deutschland Halt verlieh.
Ende der sechziger, Anfang der siebziger ließen sich vor allem Jugoslawen aus den besser entwickelten Republiken Woiwodina, Slowenien, Serbien und Kroatien von deutschen Firmen anwerben. Deutschland – das hieß damals Siemens, Borsig oder Telefunken, wo die Jugoslawen im Schichtdienst an den Fließbändern standen, Radios montierten, Drähte löteten, Glühbirnen oder Plattensaphire im Akkord herstellten – Frauen für 2,65 Mark die Stunde, Männer bekamen mehr.
Von den ersten Monatslöhnen mußten der Flug nach Deutschland und die Kosten für die ärztliche Untersuchung zurückbezahlt werden. Siebzig Mark gingen monatlich für die „Miete“ ab. In Wohnheimen waren sie in Sechs- oder Achtbettzimmern untergebracht. Arbeits- und Lebensbedingungen, über die man sich in der westdeutschen Presse 20 Jahre später unisono empörte. Da ging es allerdings nicht um Jugoslawen, sondern um den Umgang der ehemaligen DDR mit „ihren“ mosambikanischen und vietnamesischen Vertragsarbeiteren.
Ein Drittel der Anfang der siebziger Jahre angeworbenen jugoslawischen „Gastarbeiter“ in Westdeutschland wie in Westberlin waren Frauen – im Vergleich zu anderen Herkunftsländern ein enorm hoher Anteil. Die Väter zu Hause tobten oder nahmen den Ausbruch der Töchter mit verbittertem Schweigen hin; warum ausgerechnet die eigene Tochter und warum ausgerechnet zu den Deutschen? Evka Slobodans Vater ließ seine Tochter nur für ein Jahr gehen. „Nur ein Jahr“ – so lautete das Zauberwort jugoslawischer Arbeiteren in Deutschland.
Vor allem die Frauen sind geblieben. Die rund 34.000 Jugoslawen in Berlin sind nach den Türken und Kurden die drittgrößte Gruppe unter den Einwanderen. Nur lassen sich die meisten nicht mehr unter die Rubrik „Jugoslawe“ einordnen. „Jugoslawe ist zu einem Schimpfwort geworden“, sagt Evka. Heute leben also in Berlin 10.000 Kroaten, rund 7.000 Serben, 4.000 Bosnier, 3.500 Einwanderer aus der Woiwodina, 2.000 Slowenen, 2.000 Mazedonier und 1.300 Albaner aus dem Kosovo.
Man könnte meinen, 1.300 Kilometer entfernt von einer hoffnungslos zerstrittenen Belgrader Regierung, den Panzern in Split und den Barrikaden ließe sich mehr Distanz und kühler Kopf bewahren. „Die Stimmung des Weltuntergangs“, glaubt Verica Pancev, „ist hier noch größer als in Jugoslawien. Denn hier kommen die Informationen nur gefiltert an.“ Meist ist es das Konzentrat des Medienkrieges, der seit zwei Jahren vor allem zwischen der serbischen und der kroatischen Presse tobt – und mit Falschmeldungen, Propaganda, mit erfundenen und tatsächlichen Toten bei Auseinandersetzungen die Stimmung anheizt. Die slowenischen, kroatischen oder serbischen Zeitungen werden in Berlin zwar mit einem Tag Verspätung gelesen, aber sie laden die ohnehin spannungsgeladene Stimmung nichtsdestotrotz immer wieder auf und bereiten den Boden für eine für Außenstehende schwer nachvollziehbare Empfindlichkeit. Als Provokation werten es Kroaten, Bosnier und andere bereits, wenn der serbische Club in Berlin einen Veranstaltungshinweis in kyrillisch verfaßt – ein Grund mehr, Kontakte zu vermeiden.
Auch innerfamiliäre Versöhnungsversuche scheitern. Letztes Weihnachten zum Beispiel, als Evka ihren Mann um des Haussegens willen überreden konnte, mit ihr die katholische Messe der Kroaten zu besuchen.
In seiner Predigt sprach der Priester nicht nur von der Geburt Jesu Christi, sondern auch von der „Unterdrückung des kroatischen Volkes“. Evkas Mann begann zu fluchen, in der Kirche noch leise, zu Hause dann sehr laut – und es wurde kein friedliches Fest.
An all dem, meint Evka, sei die Vergangenheit schuld. Das Trauma der Kollaboration kroatischer Ustascha mit den Nationalsozialisten, der Massenmord an Serben, Juden und Roma, aber auch Vergeltungsaktionen serbischer Cetniki und die Erschießung von Kollaborateuren durch Partisanen bei Kriegsende – all dies wurde unter Tito jahrzehntelang mit dem Mantel des Schweigens und dem Mythos vom jugoslawischen Partisanenvolk zugedeckt. Jetzt wird es zur propagandistischen Waffe im Nationalitätenkonflikt – durchsetzt mit aktueller Propaganda über die „Greueltaten“ der jeweils anderen Seite.
Die Identität als „Jugo“, wie Evka es manchmal nennt, war gerade für die Immigranten in Deutschland wichtig, wo sie heute noch als die „Unauffälligsten“ und die „Integrationswilligsten“ unter den Einwanderern gelten. Da fällt es schwer, dem Zerfallsprozeß in Jugoslawien eine eigene Immigrantenidentität entgegenzusetzen. Um so größer ist die Hilflosigkeit und Verunsicherung vieler Jugoslawen in Deutschland. Nationalismus mag da auf den ersten Blick manchem als probates Gegenmittel erscheinen, was Verica Pancev verbittert zur Kenntnis nimmt. „Die Nationalisten sind jetzt besser dran, die können ihre Aggressionen wenigstens gegen jemanden richten.“
Wie es in Jugoslawien weitergeht, weiß in Berlin niemand – und es will auch niemand eine Prognose wagen, egal ob Serbe, Kroate, Slowene, Albaner oder Bosnier. Optimistisch ist keiner – die einen blicken geschockt und gelähmt Richtung Heimat, die anderen bunkern sich in ethnisch separierten Vereinen ein. Die versöhnungsstiftenden Momente werden jedenfalls immer seltener. Selbst die „Roten Sterne“ aus Belgrad können nicht immer gewinnen.
Andrea Böhm ist Redakteurin der taz in Berlin.
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