: Jutta räumt ab: u.a. Konrad Weiß/Manfred Wekwerth/Rita Süssmuth/Melitta Poppe
Konrad Weiß, schlesisch-katholischer Filmemacher und bürgerbewegter Abtreibungsgegner (militant), hat sich entschlossen, nun ganz in seinem Verfolgerwahn aufzugehen. Denn Stalins Mafia ist überall. Nicht nur die Stasi sei als verbrecherische Organisation zu bewerten und zu behandeln, meint der bündische Neunziger neuerdings, nein auch das Zentralkomitee der SED in seiner historischen Gänze. Da wird sich Justizsenatorin Jutta Limbach (SPD) vom Senatsabräumkommando »Regierungskriminalität« aber freuen, wenn sie nach langmonatigen Prozessen zum Beispiel den finsteren Regime-Illustrator Willi Sitte wegen Schönfärberei und Terpentinvergeudung verknacken kann. Verhaftung im Atelier! Im ZK saßen ja nicht nur dröge Planvollstrecker, sondern auch weitere intellektuelle Persönlichkeiten, wie Manfred Wekwerth, der schon geschaßte Intendant der Brecht-Bühne Berliner Ensemble. Ihn wird Limbach ganz sicher der Überziehung von Pausenzeiten überführen können oder der seelischen Grausamkeit gegen seine SchauspielerInnen wegen zu harter Kantinenbrötchen. Alles weitere regelt übrigens ein DDR- Gesetz oder die noch zu schaffende neue Verfassung für die FNL.
Bravo, Edith Niehuis! Die SPD- Bundestagsabgeordnete hat die Parlamentspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) aufgefordert, »keine weiteren provisorischen Sitzungen des Bundestages im Reichstag« zuzulassen. Die Zeit »symbolischer Sitzungen« sei wegen der neuen großdeutschen Normalität nun ohnehin längst vorbei. Ansonsten seien »zwei Schreibtische, einer im Wahlkreis und einer in Bonn« mehr als genug. Ein drittes Büro für alle Mitglieder des Bundestages sei eine praxisferne Zumutung und Geldverschwendung dazu. Süssmuth hatte zuvor angekündigt, weitere Büros und Telefonleitungen in der Hauptstadt installieren zu lassen. Der Deutsche Bundestag dürfe »kein Wanderzirkus werden«, meint Niehuis anschließend, mit Betonung auf Wander. Frau Niehuis, wollen Sie etwa die Ochsentour verweigern? Marianne legt Ihnen hiermit dringlichst an Herz, doch an einer provisorischen Reichstagssitzung mit anschließendem Kriegskredit-Happening im Wasserwerk teilzunehmen, das härtet ab wie eine Kneippkur.
Melitta Poppe, Herrendarstellerin und graue Eminenz der Tuntenbewegung, hatte am Samstag abend Dentalprobleme. Als sie ihrer Sangesschwester Melitta Sundström, Deutschlands einziger Soul-Tunte, bei deren Platten-Vorstellung im Schöneberger Cafe PositHiv stimmlich beistehen wollte, ging's nur mit Vollplayback. Der Grund: Anläßlich der »Lesben- und Schwulendemo gegen faschistische Gewalt« am Abend zuvor hatte Poppe ihr Teil-Gebiß in der Lederjacke verstaut, um es vor den Skins zu schützen. Danach fand sie das Kau- Krückchen leider nicht wieder und mußte Rührei statt Berliner Jungs zu sich nehmen. Dennoch beeindruckte ihr ausdrucksreicher Vortrag des Einheitsblues »Rita« — allerdings mehr durch die grazile Arm- und Handarbeit. Ein rundum gelungener Abend. Die erste Schallplatte der Sundström, eine 45er-Maxi, gibt es übrigens für runde 20 Mark in allen schwulen Buchläden: Prinz Eisenherz zum Beispiel in der Bleibtreustraße in Charlottenburg.
Noch ein Nachtrag zur Lesben- und Schwulendemo: Da wäre der verängstigte, namenlose männliche DDR-Bürger zu erwähnen, der schlotternd, mit irre wandernden Äuglein in seinem blauen Trabi saß, als die Tausende geschlechtlichen AbweichlerInnen an ihm vorbeizogen. In der kleinen Nebenstraße der Frankfurter Allee preßte er seinen linken Ellbogen vollverkrampft und panisch auf den Türknopf der Fahrertür und mit der rechten Hand hielt er die Fensterkurbel fest. Haben wir's nicht schon immer gewußt? Auch die von der SED verordnete Zwangsheterosexualität ist ein schweres Schicksal. Herr Weiß, schreiten Sie ein! Marianne
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen