: Kinkel: Volksabstimmung ist denkbar
■ Als erstes Kabinettsmitglied freundet sich der Justizminister von der FDP mit dem SPD-Vorschlag an/ Auch der frühere Kanzleramtschef Schreckenberger für Plebiszit/ Grüne votieren für Bonn
Bonn/Höchstädt (ap) — Bundesjustizminister Klaus Kinkel schließt eine Volksabstimmung über den Sitz von Regierung und Parlament nicht mehr aus. Als erstes Mitglied der Bundesregierung griff der FDP-Politiker am Sonntag beim Parteitag der bayerischen Liberalen in Höchstädt eine entsprechende SPD-Forderung auf und erklärte, er habe „nichts dagegen“, wenn das Volk das letzte Wort in dieser Frage habe. Zwar hätten sich die Gründungsväter mit gutem Grund für eine repräsentative Demokratie ohne plebiszitäre Elemente entschieden. In der Hauptstadtfrage werde es jedoch vermutlich keine Ruhe geben, wenn nur eine knappe Parlamentsmehrheit die Entscheidung für Bonn oder Berlin fälle. Er selbst sei für Berlin als Regierungs- und Parlamentssitz. Kinkel betonte, dies sei seine persönliche Meinung. Bislang hatten die Regierungsparteien CDU/CSU und auch die FDP eine Volksabstimmung zu diesem Thema strikt abgelehnt.
Im Sinne Kinkels äußerte sich auch Schreckenberger. „Warum sollte der Verfassungssouverän in dieser verfahrenen Lage nicht selbst entscheiden?“, fragte der CDU-Politiker und frühere Kanzleramtschef in einem Beitrag für den 'Spiegel‘. Das starre Muster einer repräsentativen Demokratie auf Bundesebene sei „im Hinblick auf die Legitimations- und Akzeptanzprobleme, die der Tagespolitik erheblich zu schaffen machen, fraglich geworden“. Deshalb plädiere er für eine „maßvolle Direktbeteiligung“ der Bürger insbesondere in Fragen, die sie umittelbar beträfen. Diese Vorschläge habe er auch Bundeskanzler Helmut Kohl vorgetragen.
Einig sind sich die Parteien in Bonn zur Zeit nur darüber, daß es am 20. Juni keine Kampfabstimmung geben soll. Der FDP-Politiker Hoyer rechnet damit, daß dem Parlament am 20. Juni zwei Konsensanträge zur Entscheidung vorgelegt werden: der Plan des CDU-Politikers Heiner Geißler, der den Bundestag in Berlin und die Regierung in Bonn sehen möchte, sowie die Initiative von Bundesratspräsident Henning Voscherau. Der SPD-Politiker möchte Bundespräsidialamt, Bundesrat und Auswärtiges Amt sowie die Diplomaten nach Berlin verlegen, die Regierung aber am Rhein belassen.
Auf der Bundesversammlung der Grünen sprachen sich 60 Prozent der Delegierten gegen die Verlagerung des Regierungs- und Parlamentssitzes nach Berlin aus. Sie stimmten allerdings nur über ein Meinungsbild der Partei zu einer Resolution ab, in der es heißt: „Bei der Entscheidung über die Verlagerung von Partei- und Regierungssitz nach Berlin stehen sich die Rückkehr zu zentralistischen Strukturen und die Stärkung des Föderalismus gegenüber. Aus verfassungspolitischen, sozialen und ökologischen Erwägungen kann nur die Entscheidung für ein dezentrales Konzept in Frage kommen.“
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