piwik no script img

Schimmi und Chemie

■ „Tatort“ u. „Kunstnahrung“, So., ARD

Schimmis Pils ist nach dem Reinheitsgebot gebraut. Eine Reinheit, die den Jungrindern im Sonntags-Tatort fehlte. Schimmi auf dem Lande, ein Krimi ums Östrogen im Kalbfleisch, kann das gutgehen?

Es geht: Schimmi, Thanner und der Regisseur robben sich langsam an die Mentalität des Bauerndorfes heran.

Zelten is nich, Angeln is nich, nur Frauen gibts und Hormone. Dominierten in der ersten Viertelstunde die falschen Klischees — der rauhe, tumbe Polterabend und der Dorfgroßbauer im BMW — gewinnt die Geschichte später erheblich an Lokalkolorit. Langsam, Szene für Szene wird der Sumpf aufgedeckt, in dem die kälberzüchtenden Landwirte versunken sind. Große Packungen mit Hormonpräparaten im bäuerlichen Medizinschrank und die Losung: Spritzen oder Weichen. Der Akzent der Dörfler ist zwar immer noch nicht echt, aber der Unwille der Bauern, mit dem Korinthenkacker aus dem Ministerium zu diskutieren, ist umso authentischer. Die ruppigen Auseinandersetzungen mit den Hauptkommissaren, die den stillen, verzweifelten Kampf ums Überleben im Dorf stören, schließlich macht die Geschichte rund. Anders gesagt: Eigentlich hätte es den archaisch anmutenden Mord am miesen zugezogenen Tierarzt und den Wildwest- Showdown nicht gebraucht: Der Sohn mußte als Ausgestoßener schon vorher für den Vater büßen.

Eine Stunde Zeit zum Erholen lassen die Fernsehgewaltigen von der ARD. Dann liefern sie die Theorie zum Dorfdrama. Chemie in den Nahrungsmitteln als Folge der Agro-Industrie und deren hemmungslosen Profitstrebens. Verbraucher und Verbraucherinnen werden zu Konsumtrotteln: Sie wollen „Lite“ und kaufen Chemie.

Aber letztlich: Das Oberlehrerhafte des Films verschenkte das Thema. Viel zu häufig werden Zuschauer nur mit Formeln und Fremdwörtern zugeschmissen. Einzig plastisch das Beispiel mit der Milch. Nicht pasteurisiert, nicht homogenisiert und nicht ultrahocherhitzt hat ein Forscherteam die reine Rohmilch an Ratten verfüttert. Die wuchsen und gediehen prächtig, viel besser als ihre homogenisiert gefütterten Artgenossen.

Dann aber nicht Schnitt und das Denken des Zuschauers, sondern ein Professor. Der sagt, beim Versuch mit Freiwilligen sei man noch nicht so weit, das Ergebnis übertragen zu können, aber das Tierexperiment gebe doch genug Hinweise. Dazu braucht es den Professor nun wirklich nicht. Da konnte auch Pflicht- Öko-Bauer Josef Jacobi nichts mehr retten: Statt Angst vor dummen Zuschauern — Schimmi ins Magazin. Hermann-Josef Tenhagen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen