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Hauptstadtfrage

■ Betr.: "Vertikal, horizontal oder alles egal?", "Hauptstadtfrage und Politik", taz vom 6.6.91

betr.: „Vertikal, horizontal oder alles egal?“, „Hauptstadtfrage und Politikk“ von Klaus Hartung, taz vom 6.6.91

[...] In Deinem Kommentar sprichst Du davon, daß „die Auseinandersetzung um einen solchen Volksentscheid“ (also zur Hauptstadtfrage) nichts anderes erreichen könnte, als den Gegensatz zwischen Ossi und Wessi zu vertiefen. Damit hast Du den Grundgedanken des Volksentscheides nicht verstanden. Den, die Diskussion in der Bevölkerung vor einem Volksentscheid bringt die Menschen doch gerade zusammen. Natürlich werden in einer solchen Diskussion auch die Gegensätze deutlich. Es ist aber doch gerade wichtig, daß die Gegensätze offengelegt werden, damit sie überhaupt in das Bewußtsein der Menschen dringen und verarbeitet werden.

Du kritisierst, daß die SPD sich nicht zu einem klaren Kompromiß durchzuringen vermag. Ich nehme zwar nur ungern eine Partei in Schutz, aber es ist doch Tatsache, daß alle Parteien in der Hauptstadtfrage gespalten sind. Ist das denn Demokratie, wenn ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete auf Grund eines mehr oder weniger bindenden Parteibeschlusses gegen seine/ihre Überzeugung abstimmt, nur um bei der nächsten Wahl nicht auf einer der unteren Listenplätze zu landen?

Der Volksentscheid bricht gerade mit diesen eingefahrenen Strukturen und ermöglicht neue Kompromisse in neuen Bündnissen.

[...] Egal aus welchen Gründen die SPD zu diesem Zeitpunkt einen Volksentscheid zur Hauptstadtfrage befürwortet, das Volk ist immer das Souverän. Eine Entscheidung, die von der gesamten Bevölkerung getroffen wird, ist daher die demokratischste Entscheidung überhaupt. [...] Michael Seipel, Vorstandmitglied der Initiative DEmokratie Entwickeln (IDEE), Bonn

Berlin bleibt Hauptstadt der Versicherer, daß Berlin schon immer Hauptstadt war und bleibt. Berliner reduzieren sich auf: Berlin bleibt Berlin! Womit dasselbe gemeint ist, nur bescheidener ausgedrückt trotz berüchtigt großer Schnauze.

Die Hauptstadtfrage lösen, hieße Treuhand-Eulen nach Spree-Athen tragen und in Bonn Siegesfeiern verbieten. Hoch lebe die politische Heuchelei!

Die Widervereiniger von gestern sind die Spalter von damals und heute. Ihr Leidlied: Nie wieder Berlin!

Die deutsche Frage wird nicht allein in Berlin beantwortet, aber behauptet. Ed Shah, (West-)Berlin

Bonn ist über 40 Jahre hindurch der Rahmen für eine im Ausland vertrauensbildende und auf nationaler Ebene auf Machtbalance eines föderativen Systems ausgerichtete Politik. Unserem Staat ist es gut bekommen, daß Bonn keine Metropole war und ist.

Ich sehe in dem Bemühen vieler Menschen, unbedingt die „Weltstadt“ Berlin auch zum Parlaments- und Regierungssitz zu machen, eine schleichende Entwicklung zu einem „berauschenden“ innerstaatlichen Zentralismus, der für unsere Demokratie, die ohnehin in Wirklichkeit nur unvollkommen eine solche ist, wenig förderlich sein dürfte. Es reicht schon die Entscheidungseinengung der Abgeordneten durch Partei- und Fraktionsvorstand („Hinterbänkler-Komplexe“).l

Seit dem Wegfall der Mauer reden sich viele öffentlich Tätige in eine beängstigende „historische Wichtigkeit“ hinein. Viele Politiker wollen uns einreden, daß wir Deutsche nun nicht nur eine wesentlich größere Bedeutung in der Welt haben, sondern auch eine viel größere Verantwortung im weltpolitischen Geschehen übernehmen müssen. [...] In unserem politischen System wird zuweilen am Volkeswillen vorbeiregiert, ohne Gewissenskonflikte — schließlich ist man gewählt. Es ist nicht einzusehen, daß viele unserer jungen Männer und eventuell auch jungen Frauen geopfert werden für das internationale Geltungsbedürfnis vieler unserer Politiker und für den skrupellosen Gewinnegoismus beispielsweise der internationalen „Waffenmafia“. Fördern wir keine nationale und internationale „Großmannssucht“!

Außerdem: Jede „freie Mark“ (Milliarde) gehört hin zu den Menschen in den neuen Bundesländern und zu denen in den Krisengebieten auf der Welt. Anzustreben ist ein menschlich großartiges Deutschland, nicht ein politisches „Großdeutschland“! Es geht nicht um Bonn oder Berlin, sondern um Bonn und Berlin — es geht um Deutschland, eingegliedert in ein einiges Europa! Rudolf J.Hasencox,

Grafschaft-Birresdorf

[...] Fraglich ist, ob der Umzug der Regierung nach Berlin wirklich die erhoffte Sogwirkung für Berlin und die neuen Bundesländer hat. Denn in 40 Jahren hat der Regierungssitz in Bonn für die Region Bonn keine wesentlichen Industrie angelockt. Trotzdem ist der Verbleib der Regierung für die Region Bonn lebenswichtig, da die meisten Menschen hier in Dienstleistungsbetrieben arbeiten, die mittelbar oder unmittelbar von Bonn als Regierungssitz abhängig sind. [...]

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Kostenfrage des Umzugs und damit verbunden, wer ihn bezahlen soll. Ich denke, die Umzugskosten könnten sinnvoller für den Aufbau der neuen Bundesländer und die Ansiedlung zukunftsorientierter Industrien in der Region Berlin verwendet werden. [...]

Bonn steht für den Wiederaufbau und die Demokratisierung Deutschlands. Hier liegen die Wurzeln unserer Republik und die Wurzeln des guten Zusammenlebens mit den anderen europäischen Staaten. [...] Im Hinblick auf unsere europäischen Nachbarn täte eine schnelle Entscheidung für Bonn gut, statt einer Rückbesinnung auf überkommene und unzeitgemäße Werte, die nur für unverbesserliche Großmachtträumer einen Sinn haben. [...] Roland Ollek,

Kirchen-Offhausen

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