: EINTREFFPUNKTIMBIZ-CAFÉ
BIT'SABOUTTIME ■ SCHWULE ÜBER 40
Auf der ersten Schwulen- und Lesbendemo in Albany im Jahr 1971 kam es zu einer Begegnung zwischen einem 30jährigen Deutschen und einem 80jährigen US-Amerikaner. Der jüngere von beiden lief zusammen mit den Tunten und Kerlen auf der Straße, der Alte stand gebückt auf dem Bürgersteig und beobachtete interessiert das bunte Treiben. »It's about time«, hörte ihn der jüngere flüstern, als er vorbeischritt, was auf deutsch heißt: »Na endlich!«
Für Gerd Hoffmeister, dem jungen Deutschen von einst, war diese Begegnung ein Schlüsselerlebnis. »Das will ich nicht sagen müssen, wenn ich 80 bin«, hatte er damals gedacht. Auf das Leben der Alten neugierig geworden, arbeitete er bald darauf in der New Yorker »SAGE« mit, der »Senior Action in a Gay Environment«, in der sich ehrenamtliche Volontäre um alte Schwule kümmern. Erst vor zwei Jahren nach Berlin zurückgekehrt, gründete Gerd im Februar zusammen mit seinem Freund Werner einen Treffpunkt für Schwule über 40.
Es ist kein Geheimnis, daß man mit 40 Jahren in der schwulen Szene zu den Opas, den Ausgestoßenen gehört. Schon mit 30 erreicht der homosexuelle Mann ein kritisches Alter und selbst mit 25 denkt er schon darüber nach, ob er vielleicht nicht mehr attraktiv genug ist. Die Szene liebt ausschließlich die Jugend.
Für diejenigen, die den Konkurrenzkampf in der Sub nicht mitspielen wollen, ist der neue Treffpunkt gedacht. Auf 15 Stammgäste aus beiden Teilen der Stadt kann die offene Gruppe bereits zurückgreifen. Traf sie sich anfangs in der »Mehrzweckhalle« AHA, ist sie seit Anfang Juni in das gemütlichere Prenzelberger biz- Café umgezogen. Die Motivationen der Besucher sind dabei ganz unterschiedlich: Die einen suchen eine Therapiegruppe, die anderen eher einen politischen Aktionskreis. »Wir haben kein Programm«, sagt Gerd Hoffmeister, »die Entwicklung ist völlig offen«. Selbstverständlich sei bei genügend Leuten auch vieles nebeneinander möglich. Jeden Mittwoch sitzt man daher in angenehmer Runde beisammen - zum Kennenlernen und zum Plaudern, bei dem es nicht allein ums Älterwerden geht.
Warum es wichtig ist, daß Schwule über 40 einen eigenen Treffpunkt haben, begründet Gerd mit der jugendlichen Unerfahrenheit: »Man kann mit Jüngeren über manche Themen einfach nicht reden«. Etwa über das schwule Leben in den 50er Jahren und die männliche midlife-crisis. Unter sich müßten Ältere lernen, mehr Verantwortung für die eigene Person zu übernehmen und sich nicht selbst zu diskriminieren. Der Jugend wirft Gerd vor, sich mit dem Älterwerden nicht auseinanderzusetzen. Das sei aber die Voraussetzung, um einmal einen Dialog ingangzusetzen. Natürlich, meint Gerd, müßten die Älteren dazu auch mehr Vorbilder liefern: »Die Jugend stellt sich noch immer vor, wir Schwule über 40 spielen nur noch 'Mensch ärgere dich nicht‘«. Blödsinn! Wir sind hellwach und aufgeschlossen. Ein Stöhneclub sind wir nicht.« Micha Schulze
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