: Der Abschuß ist vorprogrammiert
■ Protokoll über den Hindernislauf im offenen Vollzug Gustav-Radbruch-Haus, Frankfurt/ Gegen Bürokratie, Kleinlichkeit und Schikanen der Beamten hat der Gefangene keine Chance
Donnerstag der 13.9.90
Um 17 Uhr treffe ich mit dem Transport in der JVA Frankfurt IV, dem Gustav-Radbruch-Haus ein.
Dienstag der 18.9.90
Mittags findet das Zugangsgespräch mit der zuständigen Sozialarbeiterin statt.
Auf meine Perspektiven befragt, antworte ich, daß ich im väterlichen Betrieb zu arbeiten beabsichtige, falls dies möglich sein sollte. Dies wird mir angesichts der Aktenlage und unter Hinweis auf die doch relativ günstige Ausgangsprognose für eine straffreie Zukunft befürwortet.
Donnerstag der 20.9.90
Heute findet die Vollzugsplan- beziehungsweise Einstufungskonferenz statt. Ich sitze einem Gremium von sechs Personen gegenüber, unter ihnen meine Sozialarbeiterin und der stellvertretende Anstaltsleiter (AL). Auch hier stößt mein Vorhaben auf allgemeine Zustimmung. Allerdings muß das Ganze nun noch schriftlich fixiert werden und zu einer endgültigen Entscheidung in der sogenannten Freigängerkonferenz einer erneuten Prüfung unterzogen werden.
Hierzu ist eine Art Vorvertrag erforderlich, welcher Angaben zu Gehalt, Tagesarbeitszeit und Art sowie Einsatzgebiet beinhaltet. Diesen Vordruck muß ich vom angestrebten Arbeitgeber ausgefüllt und unterzeichnet in der darauf folgenden Woche einreichen, weil Arbeitsantritt für den 1.10 geplant ist.
Meine Einstufung fällt recht erfreulich aus. Ich werde in die Erprobungsphase L5=Freigänger mit eigenem Beschäftigungsverhältnis, E2=zwei Tage Sozialurlaub und zwei Tage Entlassungsurlaub pro Monat, T3=drei Stunden Ausgang täglich (und eine Stunde Durchganszeit) eingestuft.
Dienstag der 25.9.90
Ein Beamter der Freigängerabteilung nimmt den väterlichen Betrieb in Augenschein und äußert sich dort positiv zu einer Bewilligung von Seiten der Anstalt. Da noch nicht alles geklärt ist, einigt man sich auf einen neuen Arbeitsantrittstermin, den 15.10.90
Mittwoch der 10.10.90
Mittlerweile ist eine telefonische Absprache zwischen meinem zukünftigen Arbeitgeber und der Anstalt erfolgt, und man hat sich in Bezug auf mein Arbeitsentgelt auf 2.100 DM geeinigt. Den erforderlichen Nachweis habe ich ebenfalls schriftlich eingereicht.
An diesem Mittag werde ich zur Arbeitseinsatzleitung bestellt, wo mir das Angebot unterbreitet wird, für 20 Tage an Räumungsarbeiten im Gerichtsgebäude mitzuwirken, der Lohn hierfür beträgt 20 DM pro Tag.
Ich gebe zu verstehen, daß ich dies im Moment nicht zusagen kann, da am nächsten Tag in der Freigängerkonferenz über meinen Arbeitsvertrag entschieden werde und der Beginn meiner Tätigkeit dementsprehend mit dem 15.10. datiert ist.
Donnerstag der 11.10.90
Zu meiner Überraschung werde ich heute zur Hausarbeit eingesetzt. Ich verbringe meinen Tag mit dem Reinigen von Unterkunftsgebäuden. Während der allabendlichen Zählung der Gefangenen an der Außenpforte händigt mir der diensthabende Beamte um 17 Uhr die ersehnte Ladung aus, allerdings zum Termin um 15 Uhr. Auf meine Frage nach dem Grund des Versäumnisses bekomme ich zur Antwort: „Das kann ja nichts wichtiges gewesen sein!“ Anschließend laufe ich Spießruten um zu erfahren, ob denn nun und wie in meiner Abwesenheit über meinen Antrag entschieden wurde. Überall begegnet mir ratloses Kopfschütteln und der Hinweis, um 19 Uhr in der Sprechstunde des stellvertretenden AL vorstellig zu werden.
Dort angekommen, werde ich zu den Gründen meiner Abwesenheit befragt, denn man hätte mich den ganzen Tag gesucht. Um nicht in Mißkredit zu geraten, äußere ich hierzu keinerlei Unmut, sondern frage höflich nach dem Ausgang des Entscheides. Als Antwort bekomme ich hierauf: „Es tut mir leid, aber ich habe ihre Akte nicht griffbereit und kann ihnen hierzu nichts sagen. Melden Sie sich morgen in der Freigängerabteilung.“
Montag der 15.10.90
Heute sollte mein erster Arbeitstag sein. Am frühen Morgen werde ich bei einem Beamten der Freigängerabteilung vorstellig, und zwar bei jenem Beamten, welcher auch den väterlichen Betrieb in Augenschein genommen hatte. Nach Offenlegung meiner Abwesenheitsgründe in der Konferenz äußerte sich der Beamte wie folgt: „Da haben Sie Pech gehabt. Aber sagen Sie mal, finden Sie 2.100 DM nicht ein bißchen wenig?“ Anschließend verweist er mich an das angrenzende Büro, wo mir der Entscheid mitgeteilt werden soll. Nachdem der dort diensttuende Beamte meinen Antrag aus einem Stapel anderer Unterlagen hervorgeholt hat, höre ich von ihm lediglich: „Abgelehnt!“ Auf die Begründung befragt, wird mir geantwortet: „Nicht kontrollierbar!“
Jetzt bin ich dazu angehalten, mich nach einer anderen Arbeitsstelle umzusehen, was mir erschwert wird, da ich Termine so zu legen habe, daß eine Antragszeit für Arbeitsfreistellungen von zwei Tagen berücksichtigt werden muß.
Trotzdem finde ich nach einer Woche schon einen Arbeitgeber, dem ich die Sachlage schildere und der sich bereit erklärt, mich einzustellen obwohl er bisher noch keine Erfahrungen mit Strafgefangenen machte. Das Unternehmen ist ein Reinigungsbetrieb mit Angliederung an den öffentlichen Dienst der Stadt.
Dienstag der 23.10.90
Ich lege erneut einen Antrag zur Prüfung vor. In Erwägung gezogener Arbeitsantritt ist der 1.11.90
Donnerstag der 25.10.90
Nach Erhalt einer Ladung begebe ich mich um 15 Uhr zur Freigängerkonferenz. Ich erfahre dort, daß der Betrieb bereits besichtigt wurde. Zu der Frage meines zukünftigen Einsatzgebietes allerdings eine Stellungnahme des Anstaltsleiters erforderlich wäre.
Diese sollte noch in dieser Woche erfolgen, so daß ich spätestens am darauf folgenden Montag einen Entscheid mitgeteilt bekäme. Als mein zukünftiges Einsatzgebiet galt zunächst das Bahnhofsgebiet in Frankfurt.
Noch am gleichen Tag teile ich dem Arbeitgeber telefonisch mit, daß womöglich Bedenken von Seiten der Anstalt bestehen. Daraufhin setzt sich dieser telefonisch mit der Anstalt in Verbindung, um den Vorschlag eines anderen Einsatzgebietes zu unterbreiten, das Hochtaunusgebiet.
Montag der 29.10.90
Am Morgen um sieben Uhr finde ich mich vor dem Büro des zuständigen Beamten der Freigängerabteilung ein, um das Ergebnis der Beratung zu erfahren.
Schon auf dem Flur begrüßt mich der Beamte mit den Worten: „Herr H., wie kommen Sie darauf, daß wir heute einen Termin haben?“ Gelassen und friedfertig gebe ich nur exakt das wieder, was mir in der vorangegangenen Konferenz mitgeteilt wurde. Daraufhin zitiert mich besagter Beamter in das angrenzende Büro, wo ein mir schon bekannter zweiter Beamter wartet. Dieser wird nun mit den Worten: „Du bist Zeuge“, gebeten, eben diese Rolle zu übernehmen. Anschließend werde ich gebeten, das Gesagte zu wiederholen, was ich wohlgemerkt in freundlichem Ton tue. Nun wird der erste Beamte plötzlich laut. „Ich bin Ihnen doch über meine Arbeit keine Rechenschaft schuldig, und jetzt machen Sie sofort, daß Sie hier rauskommen, sonst lasse ich sie unter Verschluß nehmen!“ komplimentiert er mich aus dem Büro. Im Falle der Bewahrheitung dieser Androhung wäre schon zu diesem Zeitpunkt meine sofortige Rückverlegung erfolgt. Allerdings rutscht mir nun im Weggehen die Bemerkung heraus: „Das wird ein Nachspiel haben!“
Anschließend begebe ich mich unverzüglich zum Büro meiner zuständigen Sozialarbeiterin und erkläre ihr das soeben Vorgefallene, wobei ich mir den Vorwurf machen lassen muß, im Affekt eine Unmutsäußerung von mir gegeben zu haben.
Mir wird dann lapidar mitgeteilt, daß mein Antrag am folgenden Donnerstag in einer zweiten Konferenz entschieden werden soll.
Donnerstag der 1.11.90
Eigentlich sollte heute mein erster Arbeitstag bei in Aussicht gestellter Stelle sein. Doch in der angekündigten zweiten Konferenz wurde mir mitgeteilt, daß mein Antrag abgelehnt wurde. Begründung: Nicht kontrollierbar!
Vorausgeschickt wird die Bemekrung des Beamten: „Also Herr H., nicht daß Sie glauben, es gäbe persönliche Gründe!“ Angesichts dieser erneuten Ablehnung fällt es mir schwer. Dennoch bedanke ich mich höflich für die Information.
Montag der 5.11.90
Ich hatte für alle Fälle vorgesorgt und mir noch eine zweite Tätigkeit besorgt. Für diesen Tag hatte ich bereits die Woche zuvor einen Vorstellungstermin mit einer Firma vereinbart, welche laut Aushang am Mitteilungsbrett der JVA Strafgefangene für leicht erlernbare Tätigkeiten in einem metallverarbeitenden Betrieb einstellt. Zu diesem Termin erschien ich wie gewohnt, gut vorbereitet und korreckt gekleidet.
Nachdem mich der Personalchef mitunter auch zu meiner Straftat befragt hatte, führte er mich durch den Betrieb und gab mir zu verstehen, daß er beabsichtige, mich einzustellen, auch weil die von mir erwarteten Kenntnisse denen meines erlernten Berufs entsprachen. Daraufhin bat sich der Personalchef noch eine kurze Bedenkzeit aus, und wir vereinbarten einen Telefontermin für den folgenden Tag.
Dienstag der 6.11.90
Der tags zuvor noch so freundliche Personalchef teilt mir in barschem Ton telefonisch mit, daß der Betrieb von meiner Bewerbung Abstand nehmen müsse. Das ganze geschieht mit wenigen Worten und ohne weitere Begründung. Ich bitte daraufhin um Rücksendung meiner Bewerbungsunterlagen und warte noch heute darauf.
Der Rest ist kurz erzählt. Ich nahm dann eine Innendienstfunktion auf, um wenigstens das Nötigste aus eigenen Mitteln bestreiten zu können. Eine Wohnung, die mein Vater schon für mich besorgt hatte, ging mir verloren, weil die Voraussetzungen nicht gegeben waren, diese selbst zu finanzieren. Auch Ämter und Behörden, die ich aufsuchte, gaben mir keinerlei Hilfestellungen, um noch etwas zu retten. Die finanzielle Belastung für meinen Vater führte zu immer neuen Spannungen an meinem Urlaubsdomizil, und damit war ein Vorfall der dann letztendlich zum sogenannten Abschuß führte, schon vorprogrammiert. Der konkrete Rückverlegungsgrund war dann Alkoholmißbrauch. Andi Hamcher, JVA Kassel (Nachdruck aus der Hauszeitung der JVA Kassel)
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