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Heiß war nur die Luft

■ Im flauen Wahlkampf versuchte die KP, die WählerInnen mit Zucker zu kaufen

Die Anhänger des russischen Präsidentschaftskandidaten, Boris Jelzin, haben nicht nur die Nase gestrichen voll vom Mief des alten Systems, sie sind sogar ausgesprochene Frischluftfanatiker. Wann immer sich in den zurückliegenden Monaten die Chance bot, für ihr Idol auf die Straße zu gehen, haben sie sie beim Schopf ergriffen. Montag abend trafen sie sich nun noch einmal zur Unterstützung Jelzins auf dem Manege-Platz im Zentrum Moskaus. Eine große Familie schien es. Obwohl viel für Rußland von dieser Wahl abhängt, war der Wahlkampf nicht heiß. Dafür aber die Temperaturen in Moskau. Reihenweise fielen die Leute in Ohnmacht. Sowieso dürften viele von ihnen das nächste Mal nicht mehr dabei sein, sollte Jelzin die angekündigten beschleunigten Maßnahmen zum Übergang in die Marktwirtschaft tatsächlich umsetzen. Nicht alle werden zu den Nutznießern gehören. Doch davon wollte man an diesem Abend noch nichts wissen.

Die Stimmung unter den 30.000 war gelassen. Denn kaum einer zweifelt an Jelzins Erfolg. Auch wenn die kommunistische Parteipresse in den letzten Tagen ständig „Umfrageergebnisse“ veröffentlichte, die sprunghafte Sympathiegewinne ihres Kandidaten Nikolai Ryschkow simulierten. In Erhebungen der Gegenseite sackte Traumkandidat Jelzin jedoch nie unter die entscheidende 50-Prozent-Marke. Seine Opponenten mußten sich mit bis zu schlappen zehn Prozent zufrieden geben. Die optimistischste Vorausschau siedelte Ryschkow bei knapp 30 Prozent an. Und dafür hat sich die Kommunistische Partei Rußlands (RKP) mächtig ins Zeug gelegt, wie es ein Deputierter des Obersten Sowjets den Demonstranten über seine Erlebnisse auf einer Provinzkolchose zum Besten gab: „Die Kommunisten haben allen, die für Ryschkow stimmen, zusätzliche Zuckerrationen versprochen.“ Die Menge war unentschieden. Sollte sie nun schäumen oder lachen. Eine ältere Frau empörte sich: „Teufel, für einen Sack Zucker verkaufen sie ihr Gewissen.“ Von ähnlichen „Wahlhilfen“ berichtete auch ein Oberst der Roten Armee. In den Kasernen laufe die Agitation auf Hochtouren, nur Bakatin und Ryschkow seien in der Lage, das Vaterland zu retten.

Empörung rief unter den Demonstranten auch ein am gleichen Tag erschienener 'Prawda‘-Artikel hervor. In ihm hatte das Parteiorgan noch einmal schweres Geschütz gegen Jelzin aufgefahren, ihn als seelisch labil, geistig beschränkt, machthungrig und emotional beschimpft. Weiter dachte an diesem lauen Sommerabend Schachweltmeister Jurij Kasparow. Nur ein überwältigender Sieg Jelzins würde auch das richtige Signal gen Westen senden und ihm zeigen, daß die Bürger sich dem Reformkurs verschrieben hätten und zur Kooperation bereit seien. Ein Wahlsieg mit bloßen 51 Prozent sei daher nicht genug: „Zwei Drittel der Stimmen muß Jelzin erhalten“, brüllte Kasparow ins Mikrophon. Mit analytischem Verstand brillierte Nikolai Trawkin, der Kopf der „Demokratischen Partei Rußlands“: „Sechs angetretene Kandidaten bedeutet noch lange nicht, daß es auch sechs Wege zur Veränderung in Rußland gibt.“ Anderer Meinung war da ein in dezentem Blau gekleideter Herr. An seinem Diplomatenkoffer empfahl er als einzige Last- minute-Alternative zu Jelzin: Raissa Maximowna, Gorbatschows Gattin.

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