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Nach Berlin — der Demokratie wegen

Im Streit um Regierungssitz gewinnt Geißler-Plan an Gewicht/ Gutachten: Umzug des Parlaments nach Berlin und Verbleib der Bundesregierung in Bonn ist praktikabel/ AA will nicht alleine umziehen  ■ Aus Bonn Gerd Nowakowski

Der sogenannte Geißler-Plan, der den Umzug des Bundestags nach Berlin und den Verbleib der Bundesregierung in Bonn vorsieht, hat nach dem gestrigen Treffen der sogenannten Verfassungsorgane deutlich an Gewicht gewonnen. Auf Grundlage der von verschiedenen Ministerien zusammengetragenen Unterlagen über die zu lösenden Probleme hieß es, es gebe für eine Trennung von Regierung und Parlament weder finanzielle und technische noch verfassungsrechtliche Probleme.

Wie der Fraktionsgeschäftsführer der Unions-Fraktion, Bohl, nach dem Treffen sagte, habe die Erörterung der Unterlagen für den Geißler- Plan „sehr viel Nachdenklichkeit“ hervorgerufen. Dagegen sei die große Zustimmung, die der Plan des Hamburger Bürgermeisters Voscherau (SPD) anfänglich erhalten habe — er sieht den Umzug des Bundespräsidenten, des Bundesrats sowie des Auswärtigen Amts und des Diplomatischen Korps vor —, „nicht mehr in der ungeteilten Form“ vorhanden, sagte Bohl.

Eine Einigung steht aber weiterhin noch aus. Das vierte Treffen der Verfassungsorgane — Bundesrat, Bundestag, Kanzleramt, Verfassungsgericht und Parlament — wurde von Bohl als „produktives Gespräch, das die Annäherung weiterhin offenläßt“, gewertet. Beide Modelle würden weiterverfolgt mit dem Ziel, „daraus eines zu machen“, sagte Bundestagspräsidentin Süssmuth. Über die Ergebnisse des Treffens diskutierten am gestrigen Nachmittag die Bundestagsfraktionen; weitere Treffen bei der Bundestagspräsidentin sind für heute, den morgigen Donnerstag und erneut am kommenden Montag geplant. Dem Vernehmen nach hat es in der CDU/ CSU-Fraktion, vor wenigen Wochen noch mit deutlicher Bonn- Mehrheit, inzwischen deutliche Verschiebungen gegeben.

Der stellvertretende CDU/CSU- Fraktionsvorsitzende Geißler sagte, sein Vorschlag „löst nahezu alle Probleme oder reduziert sie auf ein Minimum“, sowohl die Hauptstadtfrage als auch Fragen der Finanzen, des Arbeitsmarkts, des Wohnungsbaus und der Raumordnung. Eine Trennung von Parlament und Regierung sei lediglich „unbequem“. Er verbinde mit der Trennung allerdings auch die Hoffnung, daß sich das Parlament selbständiger mache von der Bundesregierung und damit Parlamentarismus und Demokratie gestärkt würden. Befürchtungen, ein Umzug des Parlaments würde einen „Rutschbahneffekt“ bei der Bundesregierung bewirken, ließ Geißer nicht gelten. Es sei möglich, „Bremsen“ einzubauen, beispielsweise die notwendige Zustimmung des Bundesrats zu einem Ministeriumsumzug nach Berlin.

Grundlage des Treffen waren die von verschiedenen Ministerien erarbeiteten Antworten auf 39 Fragen, die in der vergangenen Woche bezüglich beider Modelle formuliert wurden. Begutachtet wurden dabei sowohl eine verbesserte Verkehrsverbindung zwischen Bonn und Berlin als auch, wie ein geregelter Parlamentsbetrieb und eine Teilnahme der in den Ausschußsitzungen notwendigen Ministeriumsmitarbeiter sichergestellt werden könne. Verfassungsrechtliche Einwände gegen den Umzug gibt es aus Sicht des Justizministeriums nicht. Die Parlamentsarbeit und die Kontrollfunktion der Parlamentarier könnten außerdem durch modernste Telekommunikationstechnologien und den verstärkten Einsatz von Videokonferenzen auch beim Verbleib der Bundesregierung in Bonn sichergestellt werden, sagt das Postministerium. Während der Sitzungswochen sei es aber dennoch notwendig, „eine große Zahl von Beamten“ aus Bonn hinzuzuziehen. Zugestanden wird auch, daß sich Probleme bei Regierungsbefragungen und dem Herbeizitieren von Regierungsmitgliedern in eine laufende Sitzung ergeben könnten.

Bei einem Umzug des Parlaments nach Berlin müsse im Reichstag mit vierjährigen Bauarbeiten und Kosten in Höhe von 75 Millionen Mark gerechnet werden. Die zusätzlich notwendige Unterbringung der Bundestagsverwaltung koste — je nach Nutzung von Alt- oder Neubauten — zwischen 1,4 bis 2,3 Milliarden Mark und dauere sieben bis zehn Jahre. Dabei seien die Grundstückskosten bei Neubauten nicht enthalten. Nachdrücklich wehrt sich das Auswärtige Amt, dessen Umzug nach Berlin im Voscherau-Modell enthalten ist, gegen den Solo-Abgang. „Mehr als jedes andere Ministerium“ sei man auf die Nähe zum Kanzleramt und den anderen Ressorts angewiesen: „Nur auf diese Weise kann eine einheitliche Außenpolitik gewährleistet werden.“

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