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Der letzte 'Morgen‘

■ Die abgewickelte Springerzeitung 'Der Morgen‘ am Morgen danach/ Durch leere Flure eilt der Gewerkschafter/ Viel Sekt und der Blues

Berlin. Wo der Honecker-Nachruf geblieben sei, fragt ein Redakteur ganz selbstverständlich durch den Türspalt. Er wolle den vorproduzierten Text als Erinnerungsstück behalten. Der werde ja nicht mehr gebraucht, weil „der Honecker uns nun doch überlebt hat“. Denn der 'Morgen‘, bislang einzige erträgliche Springer-Zeitung und einstiges Parteiorgan der LDPD, ist tot. Gestern erschien die letzte Ausgabe des kürzlich preisgekrönten Ostblattes — im nagelneuen Plattengebäude in der Glinkastraße beginnen die Rituale der Abwicklung.

Über den hellblauen Teppichboden, der noch immer frischverlegt riecht, eilt der Gewerkschafter Jürgen Grimming vom „Berliner Journalisten-Verband“ von Raum zu Raum. „Damit die Kollegen nicht über'n Tisch gezogen werden.“ Die Ticker der Nachrichtenagenturen schweigen. Auf dem Boden liegen lange Papierschlangen, die Ablagekästchen sind leer. Der 'adn‘-Drucker zeigt noch eine Meldung von Montag, 12.52 Uhr.

20.000 Leser soll der 'Morgen‘ am Ende noch gehabt haben. Viele, die man auf den Fluren trifft, halten diese Zahl für untertrieben: „Soviel können wir nicht verloren haben.“ Daß Springer seinen liberalen Ableger nach 13 Monaten fallenließ „wie eine heiße Kartoffel“, sei „nicht unerwartet gekommen, aber plötzlich“. Der schnelle Abgang des 'Morgen‘ wird auf zuwenig „verlegerische Aktivitäten“ zurückgeführt. Die Zentrale in Hamburg habe sich unflexibel „wie das Politbüro“ verhalten. Außerdem hätten die Springer-Leute große Investitionen gescheut. Schließlich werde der Umzug des verlustreichen Flaggschiffs 'Die Welt‘ von Bonn nach Berlin teuer werden, die Ertragslage sei gar nicht rosig, weil 'Bild‘ kränkele. „Im vergangenen Herbst hätten die in uns investieren müssen, da war im Berliner Markt noch mehr drin.“ Der Betriebsrat bemängelt die kaum vorhandene Eigenwerbung und die schlampige Anzeigen-Akquise.

Momentan, meint ein Redakteur resigniert, „geht alles, was High-Level ist, im Osten noch nicht“. Die DDR-LeserInnen seien zunächst auf die neue „Boulevardschiene“ abgeschwenkt und dann zu ihren Regionalzeitungen zurückgekehrt. „Für investigativen Journalismus und intellektuellen Diskurs gibt es hier kein Massenpublikum.“

Ein Volontär studiert den Aushang am schwarzen Brett: „Laß dir deine gesamte Abfindung innerhalb eines Jahres auszahlen. Das ergibt mehr Steuerersparnis.“ Der junge Mann ist sauer: „Jetzt muß ich mein Volontariat bei einer anderen Springer-Zeitung fortsetzen, aber bei der 'Berliner Morgenpost‘ zu arbeiten, kann ich mir kaum vorstellen.“ Für das Frühstücksprogramm des hauseigenen Kommerzfernsehens SAT 1 zeigt der Layouter noch mal die verwaisten Leuchttische. Nebenan in der „Herstellung“ wird bei Schaumwein darüber gerätselt, ob 65 Prozent oder 100 Prozent Kurzarbeitergeld ausgezahlt wird. „Es gibt nur noch billigen Sekt, der teure ist im Geschäft gegenüber ausverkauft.“ Nur unten am Empfang weiß man sich noch anders zu trösten: „Wir werden wohl noch am längsten bleiben.“ Der asbestverseuchte Palast der Republik, so meint der Mann am Rezeptionstresen, sei „schließlich auch nicht völlig leer, da läuft auch was weiter“. In den Räumlichkeiten des 'Morgen‘, so wird gemunkelt, sollen demnächst die Schreiber der 'Ost-Bild‘ ihren Abwehrkampf gegen die Burdasche 'Super!‘-Zeitung führen. kotte

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