: Verwirrung über irakische Angriffe auf Schiiten
■ Rafsandschani will nicht tatenlos zusehen/ Waldheim ist „tief besorgt“/ Perez de Cuellar ist „sehr beunruhigt“/ US-Regierung weiß von nichts/ Kohl telefoniert/ Bundesrepublik ist bereit, „unliebsame Entwicklungen“ zu verhindern
(Genf/Teheran/New York/Berlin (dpa/ap/afp/taz) — Weitgehende Unklarheit herrscht über den befürchteten Angriff der irakischen Armee gegen Schiiten im Süden des Landes. Der iranische Präsident Haschemi Rafsandschani warnte am Mittwoch, der Iran werde massiven Angriffen der irakischen Armee auf Schiiten nicht tatenlos zusehen. Auf einer Pressekonferenz mit dem österreichischen Präsidenten Kurt Waldheim, der sich zur Zeit zu einem Staatsbesuch im Iran aufhielt, sagte Rafsandschani, die irakische Armee habe zahlreiche Streitkräfte in den sumpfigen Gebieten Südiraks zusammengezogen und wolle die dorthin geflüchteten Schiiten vernichten. Rafsandschani betonte, die iranische Führung bemühe sich darum, daß eine solche Aktion in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen verhindert werde. Waldheim äußerte sich ebenfalls „tief besorgt“ über die Entwicklung im Süden des Iraks. Vor seinem Abflug appellierte er an die Weltöffentlichkeit: „Es ist die Pflicht der internationalen Gemeinschaft und des Sicherheitsrates, das Problem zu lösen.“
In Genf äußerte UN-Generalsekretär Javier Perez de Cuellar, er sei „ziemlich beunruhigt“ über die Vorgänge im Südirak. Er habe von der iranischen Regierung eine Mitteilung erhalten, daß Bagdad eine Offensive gegen die Schiiten im Südirak vorbereite. Daraufhin sei er mit der irakischen Regierung in Kontakt getreten. Perez bejahte die Frage, ob auch im Süden UNO-Sicherheitskräfte eingesetzt werden könnten, „wenn dies notwendig ist“. Bereits am vergangenen Wochenende war eine kleine UN-Gruppe in den Süden des Iraks gereist, um die Situation zu untersuchen. Ein UNO-Beamter hatte am Dienstag in New York erklärt, die UNO-Delegation, die am Sonntag aus dem Gebiet um Basra zurückgekehrt war, habe nichts von irgendwelchen Problemen dort berichtet. „Bis jetzt haben wir keine Hinweise, daß dort eine dramatische Lage entsteht oder entstehen könnte“, sagte der UNO-Vertreter.
Schiitische Oppositionelle hatten dagegen berichtet, die irakischen Truppen hätten in der Nacht auf Dienstag mit schweren Angriffen gegen die in den Sümpfen völlig eingeschlossenen Schiiten begonnen. Die irakische Armee habe dabei Panzer und Helikopter eingesetzt, die Anwendung von Giftgas sei nicht auszuschließen. Die iranische Führung hatte sich am Dienstag mit einem Alarmruf an den UN-Sicherheitsrat gewandt, der Irak plane ein Blutbad an den Schiiten. Der iranische Präsident bat auch Bundeskanzler Kohl telefonisch um Unterstützung. Laut der iranischen Nachrichtenagentur 'IRNA‘ erklärte Kohl in dem Telefongespräch die Bereitschaft der Bundesrepublik, jegliche „unliebsame Entwicklung“ in der Region verhindern zu helfen.
Aus dem US-Verteidigungsministerium verlautete dagegen, man habe nur Hinweise auf „vereinzelte Scharmützel zwischen irakischem Militär und Oppositionskräften“. In den Sümpfen zwischen Euphrat und Tigris und der Grenze zum Iran sollen noch bis zu einer Million Schiiten ausharren, die sich dorthin vor den alliierten Bombardements und der anschließenden Niederschlagung des schiitischen Aufstandes durch irakische Truppen geflüchtet haben. Nach Berichten von westlichen Journalisten greifen schiitische Rebellen seit Wochen immer wieder irakische Soldaten auf der Hauptstraße zwischen Basra und Bagdad an. Aus den Sümpfen in den Iran geflüchtete Iraker erzählten Mitarbeitern von medico international von irakischen Sondereinheiten und „jordanischen, jemenitischen und palästinensischen Söldnern“ sowie Mitgliedern der vom Irak unterstützten iranischen Volksmudschaheddin, die im Dienste der Iraker gegen die Schiiten kämpfen sollen. Der im Londoner Exil lebende irakische Schiitensprecher Laith Kubba beklagte gegenüber der taz die Doppelmoral im Umgang mit den Schiiten: „Die Schiiten werden international als Bedrohung angesehen, weil einige politische Gruppen extreme Positionen haben, die nun für elf Millionen Menschen verallgemeinert werden.“ Die internationale Gemeinschaft solle im Südirak Schutzzonen einrichten oder wenigstens UN-Beobachter in die Region schicken. Dies sei „die einzige Möglichkeit, ein Massaker zu verhindern“. taud
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen