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■ Tägliches Metropolis — Zum Zustand nach eineinhalb Stunden Führung
Es ist Sonntag, kurz vor halb sieben abends. Ich hätte es wissen müssen. Seit gut 20 Minuten traben wir, zwei Dutzend andere und ich, im Pulk durch den Innenhof des Martin-Gropius- Baus, unserem Führer hinterher. Standpunkte haben sich noch nicht blicken lassen. Stattdessen gibt uns der junge Mann vom Museum wortreich Erklärungen: Was sich der Künstler gedacht hat, wie das Stück ausgestellt wurde und was es alles sein möchte. Das Wunschdenken dominiert. Die Rede kreist nicht um das Sein der Arbeiten, sondern um das, was sie sein sollen. Dabei hatte uns der Guide zu Anfang einen Freibrief ausgestellt. »In der heutigen Kunst ist mehr zu denken, als zu sehen«, sagte Liotard, sagte er. Inwieweit sich aus dem zu Sehenden das zu Denkende erschlösse, solle jeder von uns selbst beurteilen. Er wolle nur Entscheidungshilfen bieten, Hintergründe offenlegen und auch gerne kritische Fragen beantworten — wenngleich nicht kritisch, aber das sagte er dann nicht.
Hier wird festgestellt, nicht analysiert. Was bei der Behandlung gewisser Konstanten der Ausstellung einige handfeste Nachteile mit sich bringt. Die Ironie in den Arbeiten? Ja, die sei vorhanden. Punkt. Keine Rede davon, daß der ironische Zusatz jede gerade getroffene Äußerung wieder zurücknimmt, daß sie sich der Angreifbarkeit entzieht und ins Unfaßbare verschwindet. Die Monumentalität? Ja, die solle die Wirkung steigern, das sei seit dem Abstrakten Expressionismus der 60er Jahre so. Das klingt zwar gut, ist aber schlicht falsch und offenbart ein Traditionsbewußtsein, das etwa 4000 Jahre Menschheitsgeschichte außen vorläßt, in der immer wieder »Auserwählte« versuchten, sich durch die Überdimensionierung von Kultgegenständen Respekt und Gehorsam zu verschaffen. Die strikte Trennung von Idee und Ausführung der Arbeiten? Dies sei nunmal Grundzug der hier stark vertretenen Concept Art, lautet die Antwort. Was angesichts der teilweise sehr ästhetischen Stücke zumindest fragwürdig ist, war die Concept Art ursprünglich antiformalistisch angetreten, um den Betrachter in den kreativen Prozeß miteinzuschließen und zur Aktion zu treiben — hier aber nur eine Hundertschaft Modellbauer beschäftigt hat.
Und überhaupt »Metropolis«: Ständig werden die Kunstwerke in Verbindung zum Titel der Ausstellung gebracht. Sei es, daß sie die Kommunikationslosigkeit, Technisierung/Mechanisierung und Abgestumpftheit des modernen Großstadtlebens offenbaren sollen, sei es, daß sie nur in einer großen Stadt entstanden sind. Metropolis ist überall. Meine Stimmung sinkt in den Frostbereich.
Doch mit meinem Mißmut bin ich ziemlich allein. Unser Führer hat die Fähigkeit, seine Zuhörer zu fesseln und aus der Reserve zu locken. Einmal kommt sogar leichter Aufruhr auf. Als unser Mann vor den Photoarbeiten des Japaners Marimura einem Vorschlag aus der Gruppe folgend gleich weitergehen möchte, meldet sich jemand und will partout etwas zu diesen vom Computer animierten, dann gefirnisten Riesenphotos hören. Also hören wir etwas. Über Herstellungsweise, kunstgeschichtliches Zitat und die Intention des Künstlers. Und daß in diesem Werk ein ironischer Zug läge.
Langsam finde ich mich damit ab. So ist das wohl bei Führungen. Am Schluß kommt ehrlicher Beifall, und eine Frau bedankt sich persönlich — »man lernt sehen« — bei unserem Vorarbeiter der letzten 11/2 Stunden. Man lernt sehen, durch Beschreibung. Ja, stimmt, denke ich, ein erster Schritt, gewiß. Dann fällt mir der Satz von vorhin ein: Jeder solle sich sein eigenen Urteil bilden. Und: »Kunst ist schön, macht aber viel Arbeit.« (Karl Valentin) Ulrich Clewing
Die Führungen durch »Metropolis« finden bis zum 21. Juli täglich um 11 und 18 Uhr statt. Abbildung: Jiri Georg Dokoupil »Badende VII», 1991 (Katalog)
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