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Medizin gegen das Heimweh

■ Kein »Literarisch-Russischer Salon« in der Jüdischen Gemeinde

Die im Programmheft der »IV. Jüdischen Kulturtage als »Literarisch-Russischer Salon« angekündigte Veranstaltung versprach Texte der sowjetisch-jüdischen Literaten Itzik Feffer, Peretz Markish, Aron Vergelis — nichts für feine Salons. Auf eine Kommentierung der Gedichte von Feffer und Markish war man neugierig, da beide von den Stalinisten im Juli 1952 wegen des angeblichen Versuchs, einen unabhängigen zionistischen Staat auf der Halbinsel Krim zu gründen, wegen Spionage und antisowjetischer Propaganda hingerichtet wurden. Der Kommunist Feffer schrieb einmal: »Wenn ich Stalin sage — meine ich Schönheit, meine ich ewige Freude, meine ich nie wieder unter Schmerzen zu leiden.« Vorgestellt hatte man sich auch eine Auseinandersetzung mit Vergelis, seit 1961 Verleger der jiddischen Zeitschrift 'Sovietishe Heymland‘, der vermutlich einige der 1952 ermordeten jiddischen Schriftsteller angezeigt hatte. Aber der Name des Komponisten der Broadway-Show Fiddler on the Roof, J. Bock, erinnerte dann daran, daß die gerade wieder von Skandalen geschüttelten Jüdischen Kulturtage sich bislang eher durch Kitsch als durch kritische Auseinandersetzung hervorgetan haben, wofür auch das Fehlen eines Programms symptomatisch war.

Was dann von den Künstlern geboten wurde, war ein unterhaltsamer Abend mit Schlagern und Liedern in jiddischer Sprache (wie »A glezele lekhayim« und »Tumbalalaika«), ganz heymish auf Jiddisch und Russisch kommentiert von dem Sänger Jakob Magid aus Vilnius. Seine Partnerin war Inna Slavskaya aus Birobidzhan, die schon in Berlin zu hören gewesen war. Ihre gewaltige Stimme mit der melodramatischen Gestik der jiddischen Operette Marke Ost und ihre atemberaubenden silbernen Pumps, zusammen mit den Künsten des liebenswerten Unterhaltungs- Routiniers Magid fanden großen Anklang beim Publikum von etwa 150 Menschen, wohl zumeist (festlich gekleidete) sowjetische Juden. Magid und Slavskaya wurden von dem Komponisten und Pianisten Vladimir Terletski und dem Geiger Konstantin Bogoliubow begleitet, beide aus Moskau. Durch Probleme mit der Tonanlage waren die Sänger oft nicht gut genug zu hören und die Texte nicht verständlich. Die Geige war häufig »außer Stimmung«, aber es kann sein, daß Boboliubow sich selbst nicht hören konnte. Der erste Teil schloß mit einem Gastauftritt von vier Mitgliedern des Kinderensembles »Gita« der jüdischen Gemeinde zu Berlin, die barfuß und in passender neo-chalutzischen Outfit mit zwei israelischen Nationalhits ihr Bekenntnis zur fernen, neuen Heimat ablegten, gefolgt von »Mir zaynen ale brider«, gesungen von einem Mann und vier Frauen — Indiz für die in Israel herrschende Gleichberechtigung, schon im letzten Jahr Tenor der Jüdischen Kulturtage.

Im zweiten Teil spielte das Trio von Yan Tabachnik aus Saporoshje/ Ukraine eine Mischung aus bekannten jiddischen Tanzmelodien (»Klezmer»), russischen Walzern, Tangos und anderen familiären Stücken, so familiar, daß wir »Tumbalalaika« das zweite Mal an diesem Abend hören konnten. Das Repertoire, das sogar einige Stücke aus der »Hebräischen Melodie« des klassischen Komponisten der jüdisch-nationalen Sankt- Petersburg-Schule, Joseph Achron, enthielt, wurde von Tabachnik virtuos und mit akkordeonistischen Kunststücken aufbereitet, entbehrte jedoch des künstlerischen Geschmacks [was bitte, ist das? sezza]. Nur beim Spielen des moldawischen und rumänischen Materials hörte man ansatzweise den Reichtum der alten Tradition. Tabachnik, musikalischer Leiter des Ensembles »Nayer Tog«, wurde enthusiastisch, aber nicht sehr geschickt von elektrischem Baß und akustischer Gitarre begleitet.

Selbst überaus mäklige jüdische Kulturexperten konnten dem Abend einiges abgewinnen [na dann..., sezza], der besonders durch die Persönlichkeiten der beiden Künstler Magid und Slavskaja bestimmt wurde. Alles war echt stimmig, sympathisch und bot ein genaues Bild jüdischer Kultur in der heutigen Sowjetunion — und den Landsleuten zwischen shtetl-Erinnerung und Berliner Fremdenpolizei ein bißchen Medizin gegen das Heimweh. Rita Ottens/Joel Rubin

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