piwik no script img

Aphrodite, eidetisches Girl

■ Zu La Locas Gedichtband „Rote Sonne über Echo Park“

Pamela Karol hat es geschafft. Durch Schreiben hat sie sich selbst therapiert, einen ganz und gar „beschissenen“ Lebensweg korrigiert, Depressionen und Krebskrankheit überwunden und zu einem Leben gefunden, das sie jetzt als „zufrieden und ganz und glücklich und vollendet“ bezeichnet. Seit sechs Jahren nennt sie sich imagegerecht La Loca (Die Verrückte) und ist mit ihren stark autobiographisch gefärbten Gedichten zum exportwürdigen Kulturträger geworden: 1988 zum Beispiel als offizielle Vertreterin der USA im Kulturprogramm der Olympischen Spiele.

1950 in Hollywood geboren und in einem Armeleuteviertel Los Angeles' aufgewachsen, ist Pamelas Kindheit gekennzeichnet von Prügeln und fehlender Elternliebe. Ihre alleinerziehende Mutter ist mehr damit beschäftigt, Männern wie dem „zottigen Affen, der ihre Waschmaschine reparieren sollte“, schöne Augen zu machen, als sich ihrer Tochter zu widmen. Ihrem Elternsorgerecht kommt sie auf die denkbar einfachste Weise nach: „Meine Mutter fesselte mich / an den Bildschirm / wo alles schwarzweiß war / und stellte das Ding an.“ Für Aufmüpfigkeit und dumme Fragen gibt es Schläge. Pamelas Kindheit besteht aus Maulhalten, Einstecken, Hinnehmen und Erdulden. Das ist zu Hause so und in der Schule. Nicht mal das Kommen und Gehen von Mutters Männern bringt Abwechslung, das Programm bleibt immer dasselbe. „Eines Tages / erschien ihr neuer Mann / im Serail. / Sie zeigte ihm meine gefesselten Füße, / und ich nannte ihn / Daddy. / Daddy war / so breit wie eine Tür. / ... Bald hatte er auch einen Gürtel, der / beim Mittagessen über seiner Stuhllehne hing. / Wir waren / eine Familie.“

Kleine Fluchten bieten nur die Spiele mit den Kindern und Heranwachsenden aus der sogenannten Gosse: Mexikanern, Schwarzen, Asiaten, Unterprivilegierten eben. Hier findet die Fünfzehnjährige, die zu Hause ausreißt, auch erste Identifikationsfiguren, wiederholt allerdings die Erfahrungen ihrer Kindheit in mannigfaltigen Versionen. „Als Teenager, Twen, und bis ich über dreißig war, habe ich für mein Leben auf jeden Fall eine Choreographie gewählt“, sagt La Loca in einem Interview mit Waltraud Schwab (taz, 14.9.90), „bei der ich Psychopathen, normalerweise Männer, als Freunde, Chefs, Nachbarn, manchmal auch als dominante Freundinnen, in mein Leben eindringen ließ. Diese Leute entsprachen genau den Personen, die meine Kindheit durchzogen.“

Rote Sonne über Echo Park ist La Locas erstes Buch. In den Staaten hat das von Lawrence Ferlinghetti verlegte Bändchen für Furore gesorgt und sich gut verkauft. Nicht, weil La Loca eine große Poetin wäre — außergewöhnliche Dichtkunst verkauft sich überall auf der Welt schlecht —, sondern weil die junge Amerikanerin ihr beschädigtes Leben aussagestark und in klar verständlichen Sätzen auf den Punkt gebracht hat.

Das alles beherrschende Thema in La Locas Gedichten ist der Konflikt zwischen den Geschlechtern. Rote Sonne über Echo Park ist vordergründig ein feministisches Buch. Die Frau aus der Sicht der Männer: ein Sexualobjekt.

Mangelzustände kompensiert jeder durch übersteigertes Verlangen. Wessen Kindheit ein Alptraum ohne Zuneigung war, der wird im Leben nur nach einem jagen: Liebe, Liebe, Liebe.

Ein Häppchen Hoffnung gibt es bei La Loca noch obendrauf. Denn sie hat es geschafft: „und obwohl ich in vielen / Gefängnissen dienen mußte— / seit jenem Tag / bin ich frei / in der Unterwelt / der Liebe.“ Wolfgang Rüger

La Loca: Rote Sonne über Echo Park. Aus dem Amerikanischen von Carl Weissner und Pociao, 100 Seiten 18,—DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen