KOMMENTAR: Kein skrupelloser Spekulantenfreund
■ Hinter dem Mord am Berliner Senatsbeamten Klein stehen zukünftige Konflikte
Noch ist unklar, ob politische Motive hinter dem Mord an Hanno Klein stecken. Sicher ist jedoch, daß Klein auf den ersten Blick in das Feindbild vieler Linker paßte. Als Senatsbeamter war er seit zwei Jahren verantwortlich für die Betreuung großer privater Investitionsvorhaben. Wer seit dem Ausbruch des neuen Gründerfiebers vor einem Jahr in der Berliner Stadtmitte Größeres vorhatte, kam an Klein nicht vorbei. Mit dem Verkauf eines großen Grundstücks am Potsdamer Platz an den Daimler-Benz-Konzern hatte er als Baubeamter zwar nicht unmittelbar zu tun. Aber er rühmte sich selbst, dem Konzern diesen Bauplatz empfohlen zu haben, für dessen Wahl Daimler und Senat heftig gescholten wurden.
Die moderne Metropole Berlin, an der Klein mitbauen wollte, nahm er in seiner Person mit vorweg. Eloquent, ideenreich und eitel, in seinen Äußerungen manchmal auch bedenkenlos, war Klein graue Eminenz und bunter Hund zugleich. Aber eines war er sicher nicht: ein skrupelloser Spekulantenfreund.
In früheren Jahren galt er vielen als der „rote Hanno von Reinickendorf“. Ende der 70er war er dabei, als in Kreuzberg erstmals neue Formen einer radikalen Bürgerbeteiligung erprobt wurden und die behutsame Stadterneuerung ihren Anfang nahm. Die Probleme, die Berlin damals hatte, waren freilich völlig andere als heute. Der gelernte Architekt Klein wußte, daß auch eine Stadt nicht nur vom Geld allein leben kann. Aber er glaubte auch, daß die von Milliardendefiziten und einem kaputten Ostteil geplagte Stadt Berlin es sich nicht mehr leisten könne, dringend benötigte Steuerzahler zu verschrecken.
Hinter dem Anschlag auf Klein stehen Konflikte, deren voller Ausbruch den Berlinern erst noch bevorsteht. Bisher mußten sich nur die Bewohner des Ostteils der Stadt wirklich auf neue Lebensumstände einstellen, spürten die Westberliner den neuen Wind höchstens am Anstieg der Gebrauchtwagenpreise und den volleren Straßen. Doch die Insel der seligen Subventionsempfänger, die Westberlin jahrzehntelang gewesen war, muß sich auf heftige Sturmfluten einstellen. Während sich der Ostteil langsam erholt, wird der Westteil im Vergleich zu früher ärmer werden. Gleichzeitig wird es mehr Reiche als je zuvor in der Nachkriegszeit geben. Um sich aus ihren Finanznöten zu retten, wird die Stadt in den nächsten Jahren die milliardenschweren Investoren hofieren und den Unterstützungsbedürftigen die Hilfen streichen.
Hanno Klein muß man zugutehalten, daß er diese Konflikte nicht verschleierte. Die Westberliner Idylle ist verloren. Wie sollten Briefbomben daran etwas ändern? Hans-Martin Tillack
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