: Vorsicht, kamerafeste Hinterbänkler!
Regierung und Parlament werden Vorreiter für die totale Verkabelung/ Der Schnack über die Glasfaser soll Dienstreisen ersparen/ Politiker müssen sich neue Rededisziplin zulegen/Spannende Zeiten für Mithörer und Nachrichtendienste? ■ Von Frank Holzkamp
Die Abgeordneten werden enger zusammenrücken müssen, sollte es zur Aufteilung von Regierung und Parlament auf Berlin und Bonn kommen. Denn nach dem Vorschlag von Heiner Geißler (CDU) würden Videokonferenzen die räumliche Entfernung vom Rhein zur Spree überbrücken helfen. Anders als in den Bonner Fluren müssen die Parlamentarier dann brav in einer Reihe vor der Kamera stillsitzen, damit beim Zoom aufs Gesicht das Bild nicht verwackelt. Neben der Polit-Talkshow, die zum Schrecken für wenig kamerafeste Hinterbänkler werden dürfte, müßte das ganze Arsenal der Informations- und Kommunikationstechnik von Datenfernübertragung bis zum Telefax zum Einsatz kommen. „Wir arbeiten ja nicht mehr mit Rauchzeichen und Buschtrommeln“, zerstreut Geißler Bedenken gegen den befürchteten Kommunikationsverlust.
Perfekt ist die Videotechnik aber noch nicht. So können auf jeder Seite nur jeweils sechs Personen am Schnack über Glasfaser teilnehmen, wie Telekom einräumt. Das Abbild auf dem Monitor wird sonst schlicht zu klein. Ganz billig ist die Übertragung von Sprache und Fernsehbild auch nicht: Pro Minute sind Gebühren von 10 DM fällig, dazu kommen monatlich 1.500 DM für den Anschluß. Ein komplett ausgestatteter Videokonferenzsaal schlägt gleich mit einigen Hundertausend zu Buche — trotzdem lohnt der Einsatz der neuen Technik angesichts explodierender Reisespesen.
Diese Erfahrung machte man zumindest bei der Kölner Ford AG, wo man sich schon seit Jahren per Video mit anderen Werken in der Bundesrepublik und Großbritannien zusammenschaltet. Die drei Kölner Studios sind den ganzen Tag über ausgebucht, auch wenn das „schon was Anonymes hat“, wie Pressesprecher Udo Reinhold einschränkt. Die Autobauer führen denn auch vorwiegend technische Debatten über Bildleitung. Bei Vertragsverhandlungen spielt schließlich das soziale Klima eine entscheidende Rolle. Die Ford- eigene Fluglinie hat weiterhin gut zu tun. Einen enormen Boom erlebten die Videokonferenzen während des Golfkrieges, als die Angst vor Anschlägen die internationale Reiselust der Manager stark bremste.
Technisch sei die Video- und Datenachse Berlin-Bonn durchaus machbar, behauptet Telekom. Große Worte angesichts des Telekommunikationsnotstandes in den neuen Ländern. Schon aus West- Berlin ist es schwierig, eine Telefonverbindung in die Bundeshauptstadt zu bekommen. Vieltelefonierern ist das Besetztzeichen in Richtung Bonn so vertraut wie das nach Dresden. In den alten Ländern gibt es zur Zeit 250 Videokonferenzstudios, die Wirtschaftszentren und Großstädte sind nach Angaben von Telekom bereits über das „wählbare Glasfasernetz“ verbunden. Zur Not könne man auf Satellitenleitungen ausweichen.
Bei der drahtlosen Übertragung ergibt sich allerdings das Problem der Abhörsicherheit. Die Stasi hatte seinerzeit den Richtfunkverkehr über das Staatsgebiet der DDR mitgelauscht. Für die Zukunft setzt man beim Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik auf Verschlüsselungssysteme. Amtschef Manfred Bieser hält das „Hauptproblem Sprachverschlüsselung“ für „lösbar“. Offen ist aber, wie knacksicher die Systeme in der Praxis sind, die Datenautobahn Bonn-Berlin dürfte eine echte Herausforderung für elektronische Spione werden. Wenig Sorgen bereiten die Geißlerschen Gedankenspiele dem Bundesdatenschutzbeauftragten. „Für den verwalteten Bürger bedeutet das überhaupt nichts“, so Referatsleiter Schmidt. Die Datensammlungen befänden sich ohnehin nicht in den Bonner Ministerien, sondern in den einzelnen Behörden. Eine zusätzliche „Verdatung“ sei durch einen Umzug des Bundestages deshalb nicht zu erwarten. Selbst wenn der virtuelle Regierungssitz Bonn/Berlin technisch machbar sein sollte, bleibt die Frage, inwieweit die VolksvertreterInnen mit Videokonferenzen und Datenaustausch zwischen Computern klarkommen. Die Akzeptanz des bereits existierenden „Parlakom“-Systems, das die Bonner Abgeordneten mit ihren Wahlkreisen verbindet, sei zwar insgesamt gut. Wie viele Abgeordnete aber tatsächlich an den entsprechenden Schulungen teilnehmen, darüber wollte man bei der zuständigen Verwaltung lieber „keine Angaben“ machen.
Einen Nebeneffekt hätte das Cyber-Parlament des 21. Jahrhunderts: Die Abgeordneten gehörten dann zu den ersten, die den Segnungen der „Informationsgesellschaft“ massiv ausgesetzt wären.
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