: Sturm auf roter Teufel komm raus
Die rheinischen Kölner versagten mentalitätsgemäß beim heimischen 2:6, und Helmut Kohls 1. FC Kaiserslautern ist endlich und endgültig Deutscher Fußballmeister 1990/91 ■ Aus Köln Bernd Müllender
Als Marco Haber zwei Minuten vor dem Ende zum 2:6 einhämmerte, gab es kein Halten mehr. Tausende ekstatisierter Pfälzer tobten auf den Rasen und jauchzten, was Lungen und Stimmbänder noch hergaben. Mit Manfred Harder leitete jedoch ein deutscher Beamter dieses Fußballmatch und der bestand pflichtbewußt auf korrekter Erfüllung der letzten Spielminuten. Die rot-weißen Massen trollten sich brav, aber da freudwandelte der Herr Feldkamp unbeirrbar mit triumphatorischer Selbstverständlichkeit in den Mittelkreis und erklärte durch Besetzung der Spielfläche die Deutsche Fußballmeisterschaft für beendet. Da erst beugte sich der schwarze Mann der Kraft des Faktischen, und die Fanmassen durften endgültig Besitz nehmen vom Rasen — viele schnitten sich später ein handliches Stückchen heraus als Souvenir für die Ewigkeit.
Ende gut — alles gut. Ja, doch: die Fußballwelt kennt Gerechtigkeit: Der 1. FC Kaiserslautern ist Deutscher Meister, und vor allem: die Bayern, die jetzt endgültig verlachten, verhöhnten, verspotteten, sie sind es nicht. „Alles Gute“, hatte schon Immanuel Kant gen Hoeneß' Geldsäcke philosophiert, „das nicht auf moralisch gute Gesinnung gepfropft ist, ist nichts als Schein und schimmerndes Elend.“
Kaiserslautern Meister — die Elf der Namenlosen. Man muß noch lernen, unbekannte Namen unbekannten Gesichtern zuzuordnen. Die besten Kicker im Lande heißen Scherr, Serr, Schupp, Stumpf, Stadler, Haber, Kranz, Lutz, Hoffmann, Winkler, Roos usw. Doch darf der 1. FCK dem anderen 1. FCK aus Köln danken, der deppenhaft das Fußballfest zu Müngersdorf ermöglichte. Der Gesinnungsrheinländer Kurt Roettgen, Chefredakteur des 'Express‘, erklärte: „Das Spiel stützt meine ethnologischen Thesen: Wenn der rheinische Mensch Druck verspürt, dann bricht er zusammen.“ UEFA-Cup- Qualifikation war zuviel.
Kölns Ex-Münchner Hansi Flick, übermotiviert und vorab besonders großmäulig, hatte sich der rheinischen Mentalität am besten angepaßt. Sein rüdes Foul führte zu Habers 0:1 schon nach vier Minuten, und nach seiner zweiten Sense in Pfälzer Gebein nach einer halben Stunde durfte er die Saison vorzeitig beenden. Der Platzverweis half Lauterns gewagter Aufstellung. Trainer Feldkamp hatte sensationellerweise auf seine Stürmer Hotic und Labbadia verzichtet, und alle dachten, dies deute auf ängstliches Defensivspiel, um den einen notwendigen Punkt zu ermauern. Statt dessen stürmten die Pfälzer gleich auf roter Teufel komm raus, und überraschten den verdatterten FC mit zwei schnellen Toren.
Am wildesten waren Verzückung, Ekstase und Begeisterung in den zwei Minuten vor der Pause. 43. Minute: Nach Kölns Anschlußtor durch Ordenewitz-Elfer und vielen brenzlichen Situationen schoß Nachwuchsmann Winkler (ein Bayer) das 1:3, Sekunden später wird das unglaubliche 0:1 von Bayer Würgingen in München vermeldet, und mit dem Halbzeitpfiff fällt gleich noch das 1:4 oben drauf. Keine fünf Minuten gönnten die die Lauterer eine Pause, dann kamen sie schon wieder, beifallsumtobt. Ungeduldig wollte der Meister endlich fertig werden.
Der Meister? Weil gleich Kölns Greiner das 2:4 erzielte und die Münchner Führung vermeldet wurde, begann trotz klarer Führung das große Zittern. Kalli Feldkamp wurde zum Nervenbündel. „Ich hab's doch noch gesagt, nein, nein, so was Bescheuertes.“ Die gesamten letzten Wochen wiederholen sich in 30 Minuten: Immer den Triumph vor Augen, doch die böse bayerische Konkurrenz im Nacken. Feldkamp brüllt, schnauzt, hampelt und vergräbt sein Gesicht, als Ehrmann an einer Flanke vorbeisegelt. Die Stadionuhr will einfach nicht weiterlaufen. Littbarskis Schuß muß gleich zweimal abgefälscht werden, um nicht im Tor zu landen. Der deutsche Meister mit der anfälligsten Abwehr seit Fußballfansgedenken. Die Angst, die Angst — erst Habers Kopfball zum 2:5 erlöste alle.
Lautern — Meister: Bei aller Freude dürfen wir nicht vergessen, daß er unser mitjubelnder Gesinnungsgenosse ist: Helmut Kohl. Der hatte schon vorher seine Neutralität als Kanzler aller Deutschen vergessen, öffentlich Sympathie bekundet und Kalli Feldkamp sogar telefonisch „Mut gemacht“. „Banger Hoffnung“ sei er gewesen, der Pfälzer, schließlich habe er „als Kind selbst gekickt“. Kameradschaft, Bescheidenheit und große Disziplin“, erklärte Experte Kohl, haben den Erfolg ausgemacht und daß nun ausgerechnet rote Teufel Meister seien, störe ihn „überhaupt nicht“.
Solch klar affrontöse Parteinahme gegen den FC Bayern kann die CSU nicht kalt lassen. Kommt jetzt die bundesweite CSU als Konter aus den schwarzen Tiefen des Münchner Raumes? Bricht die Unionsfraktion? Noch ist der freudetrunkene Kanzler guter Dinge, daß ihm Waigel heute noch die Hand schütteln wird. Warten wir's ab. Es lebe die Regierungskrise dank Kalli Feldkamp und seiner namenlosen Meister.
Zuschauer: 54.364; Tore: 0:1 Haber (4.), 0:2 Winkler (14.), 1:2 Ordenewitz (33./Foulelfmeter), 1:3 Winkler (42.), 1:4 Dooley (45.), 2:4 Greiner (46.), 2:5 Haber (78.), 2:6 Schupp (90.).
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