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»Haltet den Dieb!«

■ Ausstellung zu einem Foto-Lese-Buch von Mike Hughes und Dieter Stolz in der Galerie Franz Mehring

Kaum anders als mit einem Zitat kann man die Vorstellung des Foto-Lese-Buches Bilder Bücher Seiten Sprünge überschreiben, geht es doch dem Fotografen Mike Hughes und dem Autor Dieter Stolz um den Fluch des Zitats, dem sich nicht entkommen läßt. Fotografie und Sprache erweisen sich in ihrem Projekt als zwei durch den Gebrauch verschlissene Medien, die den eigentlichen Gegenstand ihrer Formulierungsbemühungen zwischen schon bekannten Klischees verlieren.

Je mehr die musealen Institutionen sich bemühen, den Prozeß des Lebendigen durch eine unmittelbare Mimikry einzufangen, desto mehr nimmt das Lebendige selbst die Form eines gestellten Bildes an. In den Fotografien von Mike Hugehs aus Naturkunde- und Filmmuseen rückt die Kopie des Lebendigen an dessen Stelle; das Original ist im Prozeß der Nachahmung schon lange entschwunden. Licht und Perspektive dramatisieren in Hughes großen Farbfotos den Moment des Als-Ob: in dschungelgrünes Licht getaucht ist der Bär aus dem »Natural History Museum« in London leicht verwackelt und an den Bildrand gerutscht festgehalten, als hätte der Fotograf vor ihm fliehend gerade noch die Kamera hochgerissen. Kapriolen hat der Austausch von Kunst und Leben im Bild einer »Walisischen Bergarbeiterfamilie« geschlagen, die beim TV-Dinner sitzt: In der Szene aus dem »Museum of the Moving Image« sind die Betrachter der laufenden Fernsehbilder Puppen, die als feste Körper im Foto erscheinen, während die leibhaftigen Museumsbesucher durch die lange Belichtungszeit nur irritierende Flecken auf dem Film hinterlassen haben.

Auf eine totengleiche Erstarrung als Voraussetzung der Abbildarbeit verweisen auch die Bilder von Masken und Schrumpfköpfen. Vor allem in der Ansicht einer Vitrine mit Prothesen, selbst schon Hilfskonstruktion des Lebendigen, die Hughes in Auschwitz fotografiert hat, wird der Tod gegenwärtig. Das Totsein der Dinge erscheint schließlich als Vorbedingung ihrer Aufhebung im Bild und ihrer Funktion, auf Gelebtes zu verweisen.

Hughes Fotografien verbindet mit den Texten von Dieter Stolz, die in der Galerie teilweise auf Notenständern ausgelegt sind, der Verlust von Authentizität und die Suche nach einem fruchtbaren Umgang mit dem Zitat durch die Montage. Worte und Bilder haben durch die Geschichte ihrer Benutzung ihre Unschuld verloren. In seiner geschwätzigen und lesbar ihn selbst schon entnervenden Collage aus Zitaten und Paraphrasen läßt Stolz keinen eigenen Satz zu, ohne sein erschreckendes Wiedererkennen der eigenen Gedanken in schon bekannten Platitüden mitzuformulieren. Der Parole »Haltet den Dieb!« folgt er als letzter Möglichkeit eines verantwortungsvollen Schreibens. Vor der Erfahrung des »Alles schon dagewesen, alles schon besser gesagt, ... damit kann man schon längst kilometerlange Wände tapezieren« will er nicht schweigend und ohne Gegenwort kapitulieren. Aus dem Hilfeschrei »Doch wo, um Himmels Willen, bringe ich diese vereinzelten Stichworte bloß unter« wird das Produktionsprinzip des Textes: Springen zwischen den Stichworten. Den Luftraum dazwischen muß der Leser selbst überwinden. Aber die sprachlichen »Bruchstücke aus den verschiedenartigsten Dingen«, deren Sammlung dem zitierten Romantiker Novalis noch als Möglichkeit einer unendlichen poetischen Enzyklopädie vorschwebte, wandelbar wie das Leben selbst, haben sich in traurige Zeugnisse eines zerschlagenen Zusammenhangs verwandelt, die unter jedem neuen Zugriff ihre weitere Zerstörung erfahren. Katrin Bettina Müller

Mike Hughes und Dieter Stolz: Bilder Bücher Seiten Sprünge in der Galerie Franz Mehring, Mehringplatz 7, 1/61. Bis 23. Juni, mi-so 14-18 Uhr.

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