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Was die Berliner schon immer wußten

■ Befindlichkeit der Menschen im Frühsommer 1991 untersucht/ Größtes Problem: Ost/West-Gefälle

Berlin. Den »Puls der Gesellschaft« müssen Sozialforscher messen, sagte sich »Forsa«, die »Gesellschaft für Sozialforschung und statistische Analyse« und legte gestern eine neue Untersuchung über das »Vereinte Berlin: Befindlichkeiten der Menschen im Frühsommer 1991«, vor. 1.717 Berliner, davon 674 aus dem Ostteil, wurden in den letzten zwei Wochen zu ihren Ängsten, Hoffnungen und Erfahrungen nach der Wiedervereinigung befragt.

Weil die Erhebungs- und Analyseverfahren nach den neuesten Methoden der Sozialwissenschaft erfolgt seien, sagte der Institutsleiter Manfred Güllner, spiegelten die Ergebnisse im höchsten Maße die Stimmung in der Stadt wieder. Heraus kam das, was die Berliner immer schon über sich wußten. 82 Prozent der Berliner lieben ihre Stadt, wenn auch nicht unbedingt ihren eigenen Kiez. Von den Hohenschönhausenern oder Marzahnern würden rund 40 Prozent lieber heute als morgen den Umzugswagen bestellen. Auch im Wedding ist die Identifikation mit dem Kiez mit 65 Prozent nicht allzu hoch. Am schönsten an Berlin finden die Großstädter die Umgebung (22 Prozent) und alles, was von der eigenen Arbeit ablenkt. Die Arbeitsmöglichkeiten in der Stadt gefallen nur zwei Prozent, und auch die Architektur hat viele Kritiker. Als furchtbar empfinden fast ein Drittel der Berliner die vielen Autos. Nur 14 Prozent beklagen die Umweltprobleme. Widerlegt hat die Studie die These, daß die Ausländerfeindlichkeit generell in Ost-Berlin größer sei als in West-Berlin. Nur zwei Prozent Ostler aber 11 Prozent Westler mögen Ausländer nicht.

Gefragt hat Forsa auch nach den größten Problemen der Stadt. Die Hauptstadtfrage spielt mit drei Prozent keine Rolle, das Ost/West-Gefälle (19 Prozent), die Arbeitslosigkeit (18 Prozent) und die Wohnungsnot (17 Prozent) brennen hingegen auf den Nägeln. Während 54 Prozent aller Westberliner und 66 Prozent aller Ostberliner meinen, es wird bald aufwärts gehen, befürchten 55 Prozent, bzw. 71 Prozent, daß die Arbeitslosigkeit steigen wird. Für 34 Prozent aller Westberliner und 35 Prozent der Ostberliner hat sich die eigene finanzielle Lage seit der Vereinigung verschlechtert.

Vergrößert hat sich durch die Vereinigung auch die Angst, abends alleine durch Berlin zu gehen. Vor der Maueröffnung trauten sich dies 45 Prozent der Westberliner nicht, heute fürchten sich 53 Prozent. Auch hier hat Forsa ein Ost/West-Gefälle ermittelt, im Osten bleiben 69 Prozent lieber am Abend zu Hause. Folgerichtig meinen auch 82 Prozent aller Berliner, daß die Polizei derzeit überfordert ist und die Kriminalität in der Stadt größer sei als in anderen vergleichbaren Großstädten.

Das Institut will ihre Befragungen zum Alltagsbefinden der Berliner periodisch wiederholen. aku

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