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„Blaumeier“ am Tropf

■ Bremer Kunst-und-Psychiatrie-Projekt: viel Ehr' auf der einen, wenig Geld auf der finanziellen Seite

Ein verirrter Sonnenstrahl vergoldete für einen kurzen Augenblick die „königliche Fregatte“ des Blaumeier-Theaters am Weserstrand. Ab 21.Juni wird dort „Jacobs Krönung“ wieder aufgeführt! Daneben, ins Cafe Sand, lud das Theaterprojekt jetzt die Öffentlichkeit: Denn in der Kasse der Blaumeiers ruht nicht Goldenes, dort herrscht nur Leere. Das Kunst-und-Psychiatrie-Projekt leidet unter einem bekannten Bremer Phänomen: die Hälfte der Mitarbeiter ist die Hälfte ihrer Zeit damit beschäftigt, Geld aufzutreiben.

Um auf diesen Zustand aufmerksam zu machen, spielten sie vor den erschienenen Senatsressorts und kulturellen Vertretern ihr Stück „Lisas Traum“, für das sie im Mai 1991 in Dublin international ausgezeichnet wurden. Eucrea, ein Kolloquium für Kreativität behinderter Menschen, veranstaltete dort ein internationales Festival, auf dem neben Gruppen aus ganz Europa auch die Blaumeiers auftraten: Ihr Stück spielt auf einem Schiff, das nie losfährt. Wo die Gruppe auftaucht, verschwimmen Spiel und Wirklichkeit: Die Generalprobe fand zum Beispiel auf der Fähre nach Irland statt, vor einem verreisenden Publikum, das sich wunderte, wie ihm geschah. Die Aufführung in Dublin wurde ein großer Erfolg, prämiert mit dem ersten Preis für Deutschland.

Um diese Würdigung in Bremen bekannter zu machen, wurde „Lisas Traum“ für die Presse wiederholt. Die wurde mit einem Gedicht von Wilhelm Busch gewarnt, denn gerade wer da nichts versteht, den Schnabel ganz besonders schnell bewegt. Dann hüpfte u.a. über die Bühne ein kokettes Vögelchen, das sich gerne die Hand küssen ließ von den am Boden knienden Damen, doch ist sein Gefieder inzwischen so alt und grau, daß in ihm nur noch schwer ein weißer Schwan zu vermuten ist und die finanziellen Sorgen der Blaumeier durchaus glaubwürdig erscheinen.

Kunst-Dach undicht

Die Schwierigkeiten beginnen schon zu Hause im Blaumeier- Atelier in der Travemünder Straße. Das Dach ist baufällig und muß mit großem Kostenaufwand saniert werden. Unter ihm sitzen die Mitarbeiter und drehen sich im ABM-Karussell, das einer kontinuierlichen Arbeit in einem psychiatrischen Projekt ausgesprochen abträglich ist.

Die anwesende Senatorin für Gesundheit, Vera Rüdiger, lobte mit charmanten und ernstgemeinten Worten das Stück und die gesamte Arbeit und konnte zumindest versprechen, den Blaumeiern aus der ärgsten Bedrängnis zu helfen, auch wenn sie mehr bezahlen muß als die 100 000.- DM im letzten Jahr. In Zusammenarbeit mit der Aktion Sorgenkind, die 50% der Kosten übernimmt, scheint nun gesichert, daß in der Travemünder Straße die Balken nicht zusammenbrechen. Doch noch ist nicht abzusehen, ob das Projekt in Zukunft über mehr als eine Stammkraft verfügen wird. So fehlte die Senatorin für Jugend und Soziales, sie ließ grüßen und ihren Vertreter berichten, daß bester Wille vorhanden sei, doch vor dem Deputationsausschuß im Dezember nichts definitiv gesagt werden könne. Nicht vertreten war der Senator für Bildung, Wissenschaft und Kunst, der das Blaumeier-Projekt 1986 zu schaffen half, doch sich in letzter Zeit im Hintergrund hält.

Er hat einiges versäumt: Nachdem viel Allgemeines und wenig Konkretes gesagt war, schienen die Blaumeier doch so zufrieden, daß einer von ihnen nach vorne trat und das Publikum zum Singen aufforderte: „Ja, wir sind mit'm Radel da“. Da sang das ganze Zelt. Ein bißchen komisch sind wir ja alle. Mark Rothensee

Blaumeier-Vorstellungen am Café Sand: 21.-23. und 28.-30.6., 22h

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