: Der blöde Zeitgeist-Bruch
■ Unbekannte verwüsteten das Kreuzberger Atelier von Hella Santarossa
Das Atelier von Hella Santarossa in der Waldemarstraße unter dem Dach ist verwüstet. Dreißig Bilder sind mit einer Schere aufgeschlitzt. Teile einer Skulptur, die am Theodor-Heuss-Platz einmal stehen sollte, liegen zerschlagen auf dem Boden.Selbst auf eine schmale Galerie sind die Täter gestiegen, um die Werke der Künstlerin zu zerstören. Zur Tatzeit, in der Nacht von Freitag auf Samstag, war sie noch beim Kunstmarkt in Basel gewesen und hat die Zerstörungen erst am Montag entdeckt. So was sei ihm noch nie begegnet, meinte ein spurensichernder Polizeibeamter. »Es liegt im Zeitgeist: Die Straftäter werden immer blöder«, und: »Es werden Sachen gemacht, die jeder vernünftigen Grundlage entbehren.« »Das steht morgen in der Zeitung«, weissagte sein Kollege. Die vom Spurensichern schmutzigen Hände waschen können sich die Polizisten nicht, denn auch das Waschbecken ist zerschlagen.
Hella Santarossa, die als junge Wilde Anfang der achtziger Jahre Furore machte und in letzter Zeit recht häufig in den Hochglanzkunstmagazinen und im Fernsehen (Hallo Berlin!) zu sehen war, kann über die Täter nur mutmaßen: Persönliche Feinde habe sie nicht. Auffällig sei allerdings, daß vor allem Kunst zerstört worden wäre, die was mit Glasnost, Moskau aber auch »Transformationen« deutscher oder amerikanischer Fahnen zu tun gehabt hätte. Vielleicht waren es »Meine Nachbarn« oder die »Kosmos-Truppe«, »die aus der Backsteinfabrik«, wohl irgendwelche Leute aus dem Waldekiez, »die einfach keine renommierten Künstler ertragen« könnten. Vielleicht hänge das mit der Hauptstadtfrage zusammen. Vielleicht waren es auch Rechtsradikale. Einen Bekennerbrief gäbe es nicht, und die Täter müßten Kunstkenner gewesen sein, denn nur fertige Bilder seien beschädigt worden.
Die unbekannten Täter beschränkten sich nicht nur auf die Kunst. Sie hatten auch die Schlosserei nebenan »besucht« und ließen da Computer und Telefonanlage mitgehen. »Das ist ja meine ganze Altersversorgung; meine ganze Zukunft mit drin«, meint die Malerin. Ein Schaden von einer halben Million sei entstanden und die Versicherung zahle bei Vandalismus im allgemeinen nicht.
Auf ihrer Spurensuche haben die zwei Polizisten — der Nette und der Polterer, wie immer — dann doch zwei Fingerabdrücke gefunden. Vielleicht gehören sie den Herren vom SFB, die am Morgen schon für den Abend hier ihren Bericht abfilmten, vielleicht gehören sie denen von 'BILD‘, 'Tagesspiegel‘ oder der 'Berliner Zeitung‘, vielleicht gehören sie zu ihrem mexikanischen Au- pair-Jungen, der uns aus der Kulturverwüstung wieder auf die Straße geleitet, und vielleicht gehören sie auch den TäterInnen. D.K.
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