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KOMMENTAREEin zerrissenes Land

■ Auch die Post-Gandhi-Ära Indiens wird von Instabilität gezeichnet sein

Die Situation sei ohne Zweifel dramatisch — finanziell, politisch und sozial, erklärte der Vorsitzende der rechts-hinduistischen Bharatya Janata Partei (BJP) nach den indischen Parlamentswahlen. Und diese Einschätzung wird von der indischen Öffentlichkeit ebenso wie von allen Parteien einhellig geteilt: die einzige Übereinstimmung in einer zutiefst polarisierten Gesellschaft. Die WählerInnen hatten sich eine neue Regierung erhofft, die auf ihre Sehnsucht nach Ruhe, nach Stabilität, nach einem Weg aus der umfassenden Krise des Landes glaubhafte Antworten hätte finden sollen. Alle Parteien schrieben zwar „Stabilität“ auf ihre Fahnen, doch darin erschöpfte sich ihr Beitrag zur Erfüllung dieses Wunsches.

Bei diesen gewalttätigsten Wahlen in der 44jährigen Geschichte seit der Unabhängigkeit Indiens, in denen neben Rajiv Gandhi über 300 Menschen ihr Leben verloren, gab es kein zentrales Thema, das die regionalen und kommunalen Differenzen überbrücken konnte. Die Kongreßpartei hatte nicht viel mehr anzubieten, als den Verweis auf ihren eigenen historischen Anspruch, Partei eines modernen und säkularen Indiens zu sein — kein überzeugendes Programm angesichts der wirtschaftlichen und sozialen Krise. Der Sympathiebonus nach dem Tode Rajiv Gandhis hat nicht gereicht, landesweit eine regierungsfähige Mehrheit zu erreichen. Geholfen hat dem Kongreß die tiefe Zerrissenheit der Opposition, die die Gandhi-Partei noch bei den Parlamentswahlen im Herbst 1989 vereint schlagen konnte. Für die beiden Parteien, die in den vergangenen 18 Monaten die Regierung gestellt haben, waren diese Wahlen ein Disaster.

Nur die BJP, die ihren Anteil verdoppeln konnte und nun stärkste oppositionelle Kraft sein wird, kann ihrer eigenen Zukunft gelassen entgegensehen. Denn sie wird einer schwachen Kongreßregierung gegenüberstehen, die sich zwischen internen Machtkämpfen und unsicheren Koalitionspartnern aufreiben könnte. Eine labile Regierung jedoch angesichts schier unlösbarer ökonomischer Sachzwänge läßt befürchten, daß die „größte Demokratie der Welt“ auch weiterhin polarisiert und von einer Kultur der Gewalt gezeichnet sein wird. Jutta Lietsch

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