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Algerien stellt neue Regierung vor

Algier (taz) — Algerien wird wieder regiert. In der Nacht zum Dienstag wurden die Mitglieder des neuen Kabinetts bekanntgegeben, nachdem bereits am Montag vormittag Premierminister Sid Ahmed Ghozali sein Amt angetreten hatte. Die neue Regierung mutet an wie der Versuch eines Spagats: einerseits ein Schritt weg vom FLN-Einparteienstaat, andererseits eine Anknüpfung an die goldenen siebziger Jahre, als es noch keine Wirtschaftskrise gab und keine Fundamentalisten.

Berechenbarkeit nach außen signalisiert die Berufung des erfahrenen Diplomaten Lakhdar Brahmimi auf den Posten des Außenministers; er gilt als Architekt des 1988er Libanon-Friedensvertrages von Taif. Weniger berechenbar ist der neue Wirtschaftsminister Hocine Benissad — Universitätsprofessor, Parlamentskandidat der „Front der sozialistischen Kräfte“ (FFS) von Ait Ahmed und scharfer Kritiker wirtschaftlicher Liberalisierungsmaßnahmen. Der wichtige Posten des Energieministers geht an Ghozalis alten Freund und Erdgasmanager der siebziger Jahre, Noureddin Ait Lahoussine. Das Kabinett wurde um ein Ministerium für die Beziehungen zwischen den Parteien und der Nationalversammlung und ein Menschenrechtsministerium erweitert. Die Gynäkologin Nafissa Lalliam, die für Schlagzeilen sorgte, als sie von FIS-Aktivisten zusammengeschlagen wurde, ist die neue Gesundheitsministerin — ein Zeichen der Kompromißlosigkeit gegenüber den Islamisten.

Es mehren sich die Anzeichen, daß ein größerer Schlag gegen die FIS bevorstehen könnte. Am Montag abend beschuldigte die algerische Polizei Ali Belhadj, Vizepräsident der FIS, der Bildung einer gegen den Staat gerichteten Geheimarmee. Als führender Kopf in dieser „Verschwörung“ stellt die Polizei den vor zehn Tagen festgenommenen Franzosen Didier Roger dar. Dieser zum Islam übergetretene Ex-Strafgefangene, verheiratet mit einer Frau aus einer Schmugglerfamilie aus Mali, soll Belhadj die Bildung einer paramilitärischen Organisation zur Destabilisierung des Landes vor den Wahlen vorgeschlagen haben. Belhadj habe zugestimmt. Daraufhin sei im französischen Sartrouville mit der Ausbildung von Freiwilligen begonnen worden.

Was aus diesen Anschuldigungen folgen wird, ist noch offen. Wird Belhajd, Idol der islamistischen Jugend, verhaftet und vor Gericht gestellt? Wird die Armee die Moscheen von Kouba und anderen Vororten Algeriens stürmen? Sicher ist nur, daß Ghozali möglichst rasch Handlungsfähigkeit beweisen muß, um sich gegenüber dem Militär zu profilieren. Denn er muß den Ausnahmezustand vorzeitig beenden, wenn er sein Versprechen „sauberer Wahlen“ im Oktober einlösen will. Franz Reppert

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