Ein Schritt weiter zum Unionsvertrag

Entwurf an Republiksparlamente verwiesen/ Pawlow beklagt Machtlosigkeit vor Oberstem Sowjet  ■ Von Klaus-Helge Donath

Moskau (taz) — Zum dritten Mal seit April trafen sich Anfang der Woche Gorbatschow und die Präsidenten der neun Republiken, die auch in einer neuverfaßten Union bleiben möchten, um die noch strittigen Fragen des neuen Vertragsentwurfes zu diskutieren. Anatolij Lukjanow, der Vorsitzende des Obersten Sowjet der UdSSR, äußerte sich zuversichtlich: Der Vertrag sei unterschriftsbereit. Jetzt müßten nur noch die Republiksparlamente und der sowjetische Oberste Sowjet das Vertragspaket diskutieren. Auch das Procedere der Unterzeichnung, welche legitimierten Vertreter daran teilnehmen werden, sei geklärt.

Nach dem neuen Vertrag wird der Präsident der UdSSR in freien Wahlen vom ganzen Volk gewählt. Das Parlament setzt sich aus zwei Kammern zusammen. Der „Rat der Republiken“, das Oberhaus, ist dem amerikanischen Senat nachgebildet: Jede Republik verfügt über die gleiche Zahl der Sitze. Wie sich die Republiken mit den Autonomen Republiken und Gebieten auf ihrem Territorium einigen, fällt allein in ihre Kompetenz. Der zentrale Unionsapparat verzichtet auf seine Allgewalt. In der Konsequenz soll daher auch die bisherige Macht des Ministerrates beschnitten werden. Nur noch die Aufsicht über die Staatsgrenzen, die militärischen Belange, die Außenpolitik, das Kommunikationswesen und die grundlegende Gesetzgebung obliegen weiterhin auf Unionsebene gebildeten Gremien.

Unstimmigkeiten scheint es noch um die Finanzen zu geben. Wird die Geldemission in den Zuständigkeitsbereich eines Rates aller Republiksbanken fallen, oder bleibt sie ausschließliches Vorrecht der Union? Bei Geld hört die Liebe auf, und so streiten sich die Parteien noch um den Zugriff auf die Goldreserven und die Valutaguthaben. Die Russische Föderation (RSFSR), die reichste Republik, und das Zentrum feilschen außerdem noch über die Nutzung des Energiesystems und der Benzinproduktion. Als lukrative Valutaquelle erhebt Rußland den Anspruch, beide ausschließlich zu seiner Wohlfahrt nutzen zu können. Auch noch offen ist die Frage, welches Steuersystem man einführen soll. Rußland und die Ukraine plädieren für ein eingliedriges Steuersystem: Demnach würde das Zentrum von den Republiken direkt Geld erhalten. Die ärmeren Republiken, die nicht zu den Gebern gehören, favorisieren ein zweigliedriges Abgabeverfahren einschließlich einer geringfügigen Unionstaxe.

Die Verhandlungen haben eines deutlich gemacht: Der „Rat von Nowo-Ogarjowo“, in seiner personellen Zusammensetzung fast mit dem Föderationsrat identisch, hat die wichtigen politischen Entscheidungen an sich gerissen, ohne den Obersten Sowjet, den Ministerrat und seinen Vizepremier Walentin Pawlow vorher mit einzubeziehen. Die Unionsgremien wurden a priori entmachtet. Dem konservativen Obersten Sowjet und auch dem Ministerrat dürfte diese Entwicklung nicht sonderlich behagen. Mit seinem Widerstand muß gerechnet werden. Eine Kostprobe lieferte Pawlow in seiner Eröffnungsrede vor dem Obersten Sowjet. Zum wiederholten Mal forderte er dort Kompetenzen, die ihn ermächtigen, ohne Zustimmung des Präsidenten, des Parlaments oder der örtlichen Organe seine Maßnahmen direkt zu verfügen.