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Nato duldet keine Konkurrenz

■ Heute und morgen tagen in Berlin die Außenminister der 34 Mitgliedsstaaten der "Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (KSZE). Die Euphorie des Pariser Gipfels ist längst dahin...

Nato duldet keine Konkurrenz Heute und morgen tagen in Berlin die Außenminister der 34 Mitgliedsstaaten der „Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa“ (KSZE). Die Euphorie des Pariser Gipfels ist längst dahin — der Wille zu einer KSZE als Rahmenstruktur für die gesamteuropäische Sicherheitspolitik fehlt.

Die Euphorie, die noch anläßlich des Pariser KSZE- Gipfels vor genau sieben Monaten erzeugt werden konnte, ist längst dahin. Schon damals waren die Beschlüsse zur konkreten Ausgestaltung der KSZE äußerst dünn. Das, worüber die an der Seine verabschiedete „Charta für ein neues Europa“ viele noch zu täuschen vermochte, wird bei der ersten Konferenz der 34 Außenminister, die heute morgen in der Berliner Kongreßhalle beginnt, nicht mehr zu verbergen sein: Die Voraussetzungen und der politische Wille für die Entwicklung eines koopativen Gesamteuropas gleichberechtigter Staaten sind (noch) nicht ausreichend vorhanden. Das wird besonders deutlich im Bereich der Sicherheits- und Militärpolitik.

Noch in Paris hatten die Regierungschefs Polens, Ungarns und der CSFR Gespräche über einen Nato- Beitritt geführt, weil sie schon damals die Hoffnung auf die KSZE als Rahmenstruktur für eine gesamteuropäische Sicherheitspolitik aufgegeben hatten. Inzwischen hat die Nato derartige Überlegungen deutlich zurückgewiesen. Gleichzeitig haben die westlichen KSZE-Mitglieder noch einmal deutlich gemacht, daß sie am Militärbündnis Nato festhalten, ja sogar neue westeuropäische Strukturen der Sicherheits-und Militärpolitik bilden wollen. Begründet wird dies u.a. mit der „fortdauernden Bedrohung“ durch das KSZE-Mitglied UdSSR sowie mit der Notwendigkeit, bei Krisen in und zwischen den anderen osteuropäischen KSZE-Staaten notfalls auch militärisch intervenieren zu müssen. Entsprechend dieser Politik gehen auch die für die Berliner Außenministerkonferenz erarbeiteten westlichen Entwürfe zur Übertragung von Kompetenzen an das in Paris beschlossene „Wiener KSZE-Zentrum für Konfliktverhütung“ nicht sehr weit. Sie sehen Beratungen und Vermittlungsbemühungen auf der Ebene von Experten, vielleicht auch der 34 Botschafter bei den Wiener Verhandlungen über vertrauensbildende Maßnahmen (VSBM) vor, nicht jedoch die Schaffung von KSZE-Gremien mit tatsächlichen Eingriffskompetenzen im Konfliktfall. Endgültig beschlossen werden soll über diese Vorschläge ohnehin erst beim nächsten KSZE-Gipfel 1992 in Helsinki.

Das im Rahmen der KSZE ausgehandelte und bereits beim Pariser Gipfel unterschriebene Abkommen über konventionelle Abrüstung in Europa kann nach Beilegung letzter Differenzen in der vergangenen Woche nun endlich ratifiziert werden und — wahrscheinlich im Herbst — in Kraft treten. Zu weiteren substantiellen Rüstungskontroll- und Abrüstungsvereinbarungen in Europa gibt es unter den Nato-Staaten vorerst jedoch keine Bereitschaft. Auf einer jüngst von der High Level Task Force Group der Nato im spanischen Palma veranstalteten internen Tagung sprachen sich mit Ausnahme Islands und Norwegens alle Mitglieder strikt gegen die von der UDSSR, den anderen osteuropäischen Staaten sowie Finnland und Schweden seit langem geforderten Verhandlungen über die Seestreitkräfte in europäischen Gewässern aus. Das Argument: Hier müsse die Nato uneingeschränkte Flexibilität behalten und wegen der geostrategischen Lage auch eine Überlegenheit, um im Kriegsfall siegreich gegen die Sowjetunion bestehen zu können. Auch die weitere Verringerung der konventionellen Waffen über das im ersten KSZE-Abkommen vereinbarte Maß hinaus, wird von vielen Nato- Staaten abgelehnt. Sie könne sich „destabilisierend“ auf die Lage in Europa auswirken, erklärte der stellevertretende Nato-Generalsekretär Henning Wegener. Selbst für die im Prinzip bereits vereinbarte Verringerung der Soldatenzahlen, deren genaue Art und Umfang in einem KSZE-Vertrag bis 1992 festgelegt werden soll, tritt derzeit nur noch die Bundesrepublik ein, die als bislang einziger Staat — als Preis für die deutsche Einheit — ja bereits eine Verringerung der Bundeswehr auf 370.000 Mann bis spätestens 1995 zugesagt hat. Die anderen Nato-Staaten — vor allem Frankreich und Großbritannien — ziehen inzwischen einseitige Erklärungen über die Reduzierung ihrer Truppen einem völkerrechtlich verbindlichen, multilateralen Abkommen vor. Ein solches Verfahren gewähre mehr Flexibilität. Auf Ablehnung stoßen auch die Vorschläge der UdSSR für Begrenzungen der Zahl und Größe militärischer Übungen sowie für die Einberufung von Reservisten. Die Nato vermutet dahinter den Versuch Moskaus, die Mobilisierungsfähigkeit des westlichen Militärbündnisses zu behindern. Auch Vorschläge von Rüstungsforschern, zwecks Eindämmung des qualitativen Rüstungswettlaufs zwischen den KSZE-Staaten, Restriktionen für die Entwicklung neuer Waffentechnologien zu vereinbaren, finden bei den meisten Nato-Staaten keine Unterstützung. Schließlich gibt es — allen Beteuerungen nach dem Golfkrieg zum Trotz — im westlichen Büdnis keine ernsthafte Bereitschaft zu verbindlichen KSZE-Vereinbarungen zur Unterbindung oder wenigstens Kontrolle des Rüstungsexportes. Die 34 KSZE-Staaten bestreiten 90 Prozent der weltweiten Rüstungsexporte. Andreas Zumach

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