: Vom Mitropa-Mief zur Erlebnisgastronomie
■ Ein neues Bistro soll dem Bahnhof Alexanderplatz einen Vorgeschmack vom internationalen »Meeting-point« geben
Mitte. Mitropa — wer denkt da nicht gleich an Schnitzel mit Zigeunermasse und Sättigungsbeilage, an Lokale in anheimelnder bräunlicher Farbgebung, wo man als Gast das Gefühl hat, die Bedienung schon allein durch bloße Anwesenheit, vielmehr aber mit einer Bestellung zu belästigen? »Deswegen haben wir uns auch jahrelang geschämt«, gesteht Mitropa-Berater Heinz Wostradski, »aber das ganze Geld und Material ging in die repräsentativen Interhotels. Für die Arbeiterklasse wurde in dieser Hinsicht wenig getan.« Um so glücklicher ist er über das neu eröffnete Bistro in der S-Bahn-Halle am Alex.
Die Mitropa will sich in Zusammenarbeit mit westlichen Partnern ein neues Image schaffen. »Schließlich gibt es uns schon seit fast 75 Jahren, und vor dem Krieg hatte der Name einen sehr guten Ruf«, so Wostradski. Innerhalb der ehemaligen DDR hatte die Aktiengesellschaft das Monopol auf die Reisebewirtschaftung jeder Art. Nach der Maueröffnung und der Währungsunion wurde sie als Aktiengesellschsaft von der Treuhand nicht übernommen. »Leicht ist das Überleben in der Marktwirtschaft nicht, aber die Zeiten, wo wir um das nackte Überleben kämpfen mußten, sind jetzt vorbei.«
Partner der Mitropa in Berlin ist die Bahnhofs-Handels-GmbH (BHG). »Kurz nach der Öffnung der Mauer sind wir an die Mitropa herangetreten und haben ihr die Zusammenarbeit angeboten«, berichtet der Prokurist Wolfgang Wendland. Die beiden Firmen vereinbarten, daß die Westfirma 20 Verkaufs- und Imbißeinrichtungen in den U- und S-Bahnhöfen der Stadt aufmachen werde. Allein im Bahnhof Alexanderplatz unterhält sie bereits vier Zeitschriftenkioske und eine Snackbar. »Unser Anliegen ist es, dem Bahnhof auf diese Weise ein höheres Niveau zu verschaffen«, so Wendland. »Der Bahnhof soll ja zu einem Einkaufszentrum, ähnlich dem Europa-Center, ausgebaut werden.«
Zwischen hochglanzpolierten Wänden aus Vogelaugenahorn mit Spiegelelementen und künstlichen Blumen soll für den Architekten Friedhelm Vogel ein Stück Erlebnisgastronomie entstehen. »Wir wollen, daß der Gast die Möglichkeit erhält, in angenehmer und entspannter Atmosphäre zu verweilen und etwas zu sich zu nehmen.« Seiner Vorstellung nach soll das Bistro auch über den Bahnhofsbereich hinaus zu einem »Meeting-point« werden, »für Geschäftsleute, während des Einkaufbummels oder nach der Arbeit.
Das reichhaltige Büfett bietet Brötchen, Croissants und Kuchen zu durchaus günstigen Preisen. »Wir haben uns auf das Portemonnaie der Bürger im Ostteil der Stadt eingestellt«, so Wendland.
In dem Bistro arbeiten ausschließleich MitarbeiterInnen aus der ehemaligen DDR. »Allein von Mitropa haben wir 260 Leute übernommen«, sagt BHG-Personalchefin Christel Jörnß. Auch aus anderen ehemals volkseigenen Betrieben habe sie Leute eingestellt.
Die Leiterin des Bistros am Alex, Hannelore Krüger, leitete früher einen HO-Laden. »Als der verkauft werden sollte, hieß es, alle über 35 fliegen raus«, erzählt sie. Sie habe sich dann gleich auf die Suche nach etwas anderem gemacht. Von ihrer neuen Tätigkeit ist sie angetan. Mit acht anderen Frauen arbeitet sie seit einer Woche in dem Laden. Seit fünf Uhr seien sie heute schon auf den Beinen »und sehen sie sich die Mädchen an, sie sind alle noch ganz frisch. Ich finde es wichtig, daß auch die Mitarbeiterinnen Freude ausstrahlen.« cor
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