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Die Spaghetti-Würger

■ Die Belziger Rockband »Keimzeit« im Varieté Chamäleon

Wenn wir uns wiedersehen, dann würg' ich dich mit Spaghetti. Du knallst mir 'ne Stiege Eier auf'n Kopf«, singt Norbert Leisegang, der stubbelblonde »Keimzeit«-Frontmann. Die Fans lesen ihm die Texte vom Riesenmund ab, falls sie nicht schon nach den ersten Akkorden wissen, was folgt und einstimmen. Würde Norbert in der Zeile verrutschen — was auch nach über drei Stunden Spiel kaum geschieht — fiele das nicht auf. Die Fangemeinde weiß, was sie braucht: Spaß, Spaß, Spaß.

Keimzeit ist eine Band aus dem weiteren Umland von Berlin (wer weiß schon, wo Belzig liegt?). Sie hat jahrelang zum Tanz aufgespielt, vor der Wende dank Jugendradio DT 64 einige Popularität erlangt und letztes Jahr die erste LP, Irrenhaus, produzieren können. Der Dreijahresvertrag bei Hansa bescherte ihnen jüngst die zweite LP Kapitel Elf.

Ihr Auftritt am Dienstag im Varieté Chamäleon am Hackeschen Markt war im Keimzeit-Selbstverständnis kein Gig zur Platte, weil: Getourt wird immer. Die Band hat Spielwut im Bauch und in den Augen. Norberts schräges Singen wirkt kein bißchen maniriert, ist eher gepflegt unperfekt. Das Publikum weiß, was von den sechs Jungs zu haben ist: swingende Rhythmen, mit Tango und Walzer spielend, Rock natürlich und »ich hab den Blues, wenn ich sitze, ich hab den Blues, wenn ich steh«, wie es im Eisenbahner heißt. Die Kompositionen entstehen in der Gruppe. Im Konzert werden sie gemischt mit dem Oldie- Block; everybody's schnipping. Die Band ist für Überraschungen gut, etwa, wenn der hervorragende Sax und Klarinette spielende Ralf Beschu Verstärkung bekommt.

Die fröhliche Musik zum Abhotten scheint besonders jungen Männern aus der Seele zu kommen. Sie federn, hopsen, hampeln und trällern selbstvergessen: »Wenn ich groß bin, werd' ich Zauberer oder Käpten auf'm Schiff.« Sehnsüchte sind das Material, aus dem keimzeitige Songs sind. Ihr Du bist betrunken ist zur heimlichen Hymne geworden. Leisegangs Texte sind nah dran am Alltag und skurril genug, nicht platt zu sein: »Klar, wer das Tempo nicht durchhalten kann, wird vom Skateboard überrollt«, heißt es in Amsterdam. Laura Lorenz

Nächster Auftritt am 25. Juli im Franz-Klub.

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